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Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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was ihm außerordentlich missfiel. Zudem war sein Schatz zwar geborgen worden, aber er gehörte ihm nicht mehr. Der Jude hatte den Baumeister erneut in die Abhängigkeit gezwungen.
    »Iosefos, du mein Baumeister aus Konstantinopel«, begrüßte ihn Karl mit besonderer Betonung des Städtenamens. »Du bist, wie ich inzwischen vernommen habe, nicht nur ein Geschenk des Himmels. Zudem bereitest du mir eine Überraschung nach der nächsten. Diese aber ist besonders schön. Sag, wer ist das bezaubernde Geschöpf an deiner Seite?«
    »Meine Nichte Xenia, Tochter meiner Schwester Theodora aus Konstantinopel«, stellte Iosefos seine Tochter mit brechender Stimme vor.
    »Und wie kommt Xenia aus Konstantinopel nach Aachen ?«, fragte der König, ohne den Blick von der herrlichen Erscheinung zu nehmen. Iosefos erzählte die Geschichte, die ihm Isaak empfohlen hatte: »Mit einer kleinen Reisegesellschaft, die morgen zu König Offa von Mercien nach England weiterziehen wird. Auf dem Weg dorthin wollte sie ihren alten Oheim in Aachen besuchen.«
    Karl sagte lange nichts. König Offa war ein Thema, das ihm erheblich weniger gefiel als die schöne Frau an der Seite des Baumeisters. Er musterte Ezra so gründlich, dass ihr immer unbehaglicher zumute wurde. Dennoch ließ sie das Kinn vorgestreckt und hielt dem Blick des Herrschers stand.
    Statt diesen Bruch der Etikette zu kommentieren, bemerkte Karl: »Ich sehe keine Ähnlichkeit zu dir, Baumeister. Deine Schwester muss eine weitaus schönere Frau sein, als du ein Mann bist. Dennoch erkenne ich eine Familiengleichheit zu deinem Sohn, meinem Architectulus. Wo steckt er?«
    Iosefos schwieg.
    »Meinem Vetter geht es nicht gut. Er ist krank«, antwortete Ezra an seiner statt. Sie staunte darüber, wie wenig Furcht sie verspürte, sich im Gegenteil viel wohler fühlte als an so vielen anderen Tagen an derselben Tafel. Sie war eine Frau; sie war sie selbst. Gerswinds Worte kamen ihr in den Sinn: Das ist sehr befreiend.
    »Wie bedauerlich«, antwortete Karl. »Ich wünsche ihm eine gute Besserung. Wenn er wieder wohlauf ist, möchte ich mich von ihm abbilden lassen. Wie ich erfahren habe, hat er eine besondere Begabung, das Unverkennbare eines Menschen auf Pergament zu bannen. Wo Worte fehlen, spricht offenbar die Kunst für sich. Und das erspart uns Lügen.« Er räusperte sich, lächelte Ezra zu und bemerkte: »Umso erfreulicher ist es, dass du, bezaubernde Xenia, zumindest eine Stimme hast. Und noch dazu eine so wohlklingende. Also lade ich dich ein, den Platz deines Vetters an meiner Tafel einzunehmen, neben Lucas, dem Sohn meines Baumeisters Odo.«
    Langsam wandte Ezra das Haupt zum unteren Ende der Tafel, von dem aus Lucas sie anstrahlte, wie er es noch nie getan hatte. Jedem im Saal musste ersichtlich sein, wie beglückt er über die Anweisung des Königs war. In Ezras Inneren wütete ein Sturm. Die Aufregung der vergangenen Stunden hatte sie den wahren Grund für die Anfertigung des grünen Kleides vergessen lassen. Sehr gemessenen Schrittes trat sie auf den ihr zugewiesenen Platz zu. Währenddessen sagte sie sich stumm die Worte vor, die ihr Isaak wenige Stunden zuvor aus seinem Heiligen Buch, dem Talmud, vorgetragen hatte:
    Achte auf Deine Gedanken,
    denn sie werden zu Worten.
    Achte auf Deine Worte,
    denn sie werden zu Handlungen.
    Achte auf Deine Handlungen,
    denn sie werden zu Gewohnheiten.
    Achte auf Deine Gewohnheiten,
    denn sie werden Dein Charakter.
    Lucas war aufgestanden, um ihr und dem weiten Kleid auf der Bank Platz zu machen.
    »Willkommen, Xenia aus Konstantinopel«, sagte er mit hochrotem Gesicht. »Du trägst einen schönen Namen. Hat er eine Bedeutung?«
    Ezra lächelte ihn an. Sie staunte selbst darüber, wie leicht es ihr fiel.
    »Ja, Lucas aus Aachen «, sagte sie melodisch. »Er hat sogar mehrere Bedeutungen. Eine lautet: das Gastgeschenk.«
    »Sehr schön und sehr angemessen«, erwiderte Lucas, »und was bedeutet er noch?«
    Ezra schenkte ihm ein Lächeln und sagte: »Die Fremde.«

kapitel 8
    der umgang
    Der Unruh Geist kam über uns, wir wurden ratlos,
    Wir möchten nahe sein und können es doch nicht.
    Jetzt müssen wir der Liebe wachsend Leid erfahren;
    So leicht sie ist – für uns ist sie Gewicht.
    Aus 1001 Nacht (die 791. Nacht)
    D ie Fremde war ebenso schnell aus der Königsaula verschwunden, wie sie gekommen war. Lucas stellte sich auf die Bank, aber nirgendwo im Gewimmel des Saals war ein solches Grün wie das des weit fließenden Kleides

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