Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)
entziffern können.
»Was willst du von mir?«, fragte er brummend, »soll der Mann jetzt etwa auch freigelassen werden?«
Ezra schloss erleichtert die Augen und schüttelte den Kopf.
Wo ist die Frau?, schrieb sie auf ihre Wachstafel und zeigte sie Lucas, der die Frage laut stellte.
Der Wächter nickte ins Dunkel hinüber.
»Drüben, in der Hütte, beim Schmied«, knurrte er.
Ezra fuhr zusammen. Sprach er etwa von dem Schmied, der Fredo mit dem heißen Eisen so fürchterlich entstellt hatte? Hatten die Schergen den Befehl des Königs so gründlich missverstanden? Wurde Heda jetzt etwa der Folter ausgesetzt?
Im Schein der Fackel las Lucas Verzweiflung in Ezras Augen, die denen von Xenia so erstaunlich glichen.
»Sehen wir nach«, sagte er widerwillig. Er hatte immer noch keine Ahnung, worum es bei diesem Ausflug mitten in der Nacht oder um wen es bei der von Ezra gesuchten Frau ging. Doch wenn er schon die sträfliche Missachtung der vergangenen Wochen nicht ungeschehen machen konnte, so wollte er sich dem Architectulus gegenüber zumindest jetzt gefällig zeigen. Um ihm später von Xenia erzählen zu können und ihn über sie auszufragen.
Ezra nickte.
Auf dem Weg zur Hütte berichtete Lucas von seinem Gespräch mit Xenia. Als er den stummen Knaben bat, ihm doch endlich zu verraten, was dieses Chrysotriklinium mit seiner Familie zu tun habe, stolperte Ezra über eine Wurzel. Lucas packte sie rechtzeitig am Arm und hätte dabei fast ihren Kittel mit dem Feuer der Fackel versengt. Er fand, dass sich Ezra etwas zu heftig aus seinem Griff gelöst hatte. Der Architectulus hätte ruhig ein wenig dankbar dafür sein können, dass er seinen Sturz aufgehalten hatte. Danach hielt Lucas das Licht tiefer, um den unebenen Weg besser auszuleuchten.
»Pass auf, wo du hintrittst, Ezra«, riet er. »Es geht im Leben immer um Stabilität. Darüber habe ich soeben übrigens auch mit deiner Base Xenia gesprochen. Sie hat sich sehr für unsere Kuppel interessiert. Für eine Frau versteht sie erstaunlich viel von Architektur. Aber dann ist sie plötzlich verschwunden. Mir wurde gesagt, sie sei noch in der Nacht abgereist. Stimmt das?« Er schwenkte die Fackel zur Seite, um Ezras Reaktion sehen zu können.
Ezra nickte.
»Hast du dich wenigstens von ihr verabschieden können?«
Ezra nickte abermals. Zumindest diese Antwort war keine Lüge. Sie hatte sich von Xenia verabschiedet.
»Eine eindrucksvolle Frau«, sagte Lucas. »Sie ist dir sehr ähnlich.« Er lachte. »Sie redet nur mehr. Man könnte ihr ewig zuhören. Sie hat eine wunderschöne Stimme. Alles an ihr ist wunderschön.«
Er hätte gern noch weiter über sein Lieblingsthema gesprochen, doch inzwischen standen sie vor der Hütte, auf die der Wächter gewiesen hatte.
»Was machen wir jetzt?«, fragte Lucas, als Ezra die unverschlossene Tür sacht aufstieß. »Du kannst doch nicht einfach hineingehen! Weshalb sind wir überhaupt hier?«
Ihre Gesten bedeuteten ihm, mit der Fackel hineinzuleuchten. Widerwillig folgte er der Aufforderung und blieb dann genau wie Ezra erschrocken auf der Schwelle stehen. Ezra sog hörbar die Luft ein. Sie blickte gebannt in die Mitte des Raumes. Dort, auf dem Lager neben der Feuerstelle, nur wenige Schritte von ihnen entfernt, ging ein nacktes Paar jener Beschäftigung nach, die von arabischen Dichtern blumig umschrieben wurde und bei der Dritte normalerweise nichts zu suchen hatten. Ezra hatte nie zuvor zwei so ineinander verschlungene sich bewegende Leiber gesehen, nie solche Laute gehört, nicht einmal aus dem Gemach, das ihr Vater mit Dunja teilte. Sie verging fast vor Scham, aber sie konnte sich nicht rühren.
»Fort!«, flüsterte ihr Lucas zu. Doch dafür war es bereits zu spät. Ein Kind hatte zu schreien begonnen. Das Paar auf dem Lager hielt in seinen Bewegungen inne. Der nackte Mann fuhr wie ein Blitz empor, ergriff einen Schürhaken und wandte sich zur Tür.
»Was wollt ihr hier! Schert euch fort!«
»Alboin«, rief Lucas überrascht und trat einen Schritt zurück.
Auch Ezra öffnete den Mund. Sie hatte an dem nackten Mann vorbeigeschaut, die Frau auf dem Lager erkannt und gerade noch rechtzeitig den Namen hinuntergeschluckt, der ihr auf die Lippen gesprungen war. Die Frau richtete sich ungeachtet ihrer Blöße auf, warf das Haar in den Nacken, streckte den rechten Arm aus und deutete auf Ezra.
»Der Zauberer!«, rief Heda verzückt. »Das ist er, Alboin, der Zauberer, der mir das Leben gerettet hat!«
Der Schmied legte
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