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Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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und noch bewirken wollte, Angst vor der ihr fremden Welt eines Frauenlebens, in dem sie sich würde einrichten müssen. Sie musste also derjenige bleiben, für den sie alle hielten; sie musste ihr Herz im Zaum halten und sich Lucas aus dem Kopf schlagen. Sie musste Xenia töten, um als Architectulus weiterleben und arbeiten zu können. Ezra begann, sich aus dem grünen Kleid zu schälen. Dunja hielt sie auf.
    »Nein, mein Kind, so entkommst du mir nicht! Lass das Kleid an! Und sag mir: Was geschieht jetzt mit dieser Frau?«
    Heda. Ezra hatte sie gänzlich vergessen. Sie griff wieder zu der Decke und tupfte sich die Stirn ab.
    »König Karl hat noch am Tisch Befehl gegeben, sie augenblicklich freizulassen und uns wiederzugeben«, sagte sie heiser.
    »Uns wiederzugeben?«, wiederholte Dunja ungläubig. »Sie soll hierherkommen?«
    »Ja, sie müsste jeden Augenblick eintreffen.«
    »Und was machen wir dann mit ihr?«
    »Wir schicken sie mit ihrem Kind zurück nach Prüm. Isaak soll sich darum kümmern. Er hat ihr das Ganze schließlich eingebrockt. Für alle anderen ist sie eben mit Xenia nach England weitergereist. Kein Mensch wird irgendwelche Fragen stellen. Wen interessiert schon eine Hure? Ich ziehe mich jetzt um, damit sie mich erkennt und keine Angst mehr hat.«
    Dunja widersprach nicht, da sie in diesem Augenblick jemanden die Treppe hinaufschlurfen hörte.
    »Dein Vater«, flüsterte sie Ezra zu. Die hatte sich gerade das Kleid vom Leib gerissen und nach ihren Hosen gegriffen. Sie hatte genug geredet. »Was wirst du ihm erzählen?«
    Ezra zog die Hosen an, verwuschelte sich das Haar und lächelte.
    »Natürlich«, sagte Dunja seufzend und öffnete die Tür. »Es ist wieder an mir, ihm alles zu erklären. Auch wenn ich nicht weiß, wo Mutter und Kind bei uns schlafen sollen.«
    Dies stellte sich als Ezras geringstes Problem dar. Denn Heda erschien nicht.
    Trotz der Kälte der Nacht blieb Ezra lange vor dem offenen Fensterladen in der dunklen Werkstatt hocken und blickte hinaus. Die Fackeln auf dem Hof spendeten nur wenig Licht, dennoch erkannte sie in dem leicht schwankenden Mann, der sich dem Gebäude näherte, ihren Mitbewohner, den Baumeister Odo. Er war allein. Wenig später hörte sie seine Schritte auf der Treppe und kurz danach die Holzdielen im Dachgeschoss knarzen. Von Heda keine Spur und von Lucas auch nicht. Der saß vermutlich noch in der Halle und ertränkte seine Kränkung über Xenias plötzliches Verschwinden in dem freigiebig ausgeschenkten Wein.
    Ezra dachte an ihren Vorsatz und verbot sich jeden weiteren Gedanken an den Sohn des Baumeisters. Sie lauschte auf das Schnarchen ihres Vaters im Nebenraum und fragte sich, weshalb die Schergen Heda nicht längst zum Haus geführt hatten. Irgendetwas musste schiefgegangen sein. Vielleicht war der Bote des Königs aufgehalten worden. Oder die Wächter hatten ihm nicht geglaubt, da sie am nächsten Morgen unbedingt die Frau in der Luft reiten sehen wollten.
    Allah, hilf, flehte Ezra stumm und erschrak. Sie hatte an diesem Tag kein einziges Mal gebetet. Doch Hast und Unruhe hielt sie für unvereinbar mit der Würde des Gebets. Sie würde die Andacht später nachholen. Wenn sie Heda gerettet hatte. Sacht schloss sie den Fensterladen und eilte die Treppe hinunter.
    Um den Weg zur Schmiede zu finden, brauchte sie Licht. Sie ergriff eine jener kleinen Fackeln, die dazu vorgesehen waren, Gästen den Heimweg zu erleuchten, ließ sie aber vor Schreck in den Staub fallen, als eine sehr vertraute Stimme ihren Namen rief.
    »Ezra!«, wiederholte Lucas, eilte hinzu, hob das Licht auf und rettete es vor dem Verlöschen. »Ich dachte, du seist krank!«
    Ezra schüttelte den Kopf. Sie winkte Lucas, sie zu begleiten. Er sollte mit ihr gehen, da er ihr helfen konnte. Die Wächter sprachen zwar die allgemein in Aachen verbreitete barbarische lingua romana , aber lesen konnten sie gewiss nicht.
    »Wohin willst du um diese Stunde?«, fragte er verwundert und leuchtete sie an. Mit einer Handbewegung bat ihn Ezra um Geduld.
    Der Mann vor dem Verschlag neben der Schmiede saß mit dem Rücken zur Tür auf dem Boden. Er schlief fest. Sein Kopf fuhr erst hoch, als Lucas an ihm rüttelte. Er sprang auf und blickte ungehalten auf die späten Besucher vor sich.
    Im Licht der Fackel machte Ezra das Zeichen des Türöffnens.
    Als der Mann nicht reagierte, hielt sie ihm ihr Wachstäfelchen vor, auf dem noch eine alte Botschaft für Iosefos gekritzelt stand, die er ohnehin nicht hätte

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