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Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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Vater morgen früh verschwunden ist?«
    »Ich sage nie etwas«, erwiderte Ezra, und daran hielt sie sich fortan, bis das Grab so tief war, dass sie die beiden in Decken gewickelten Leichname hineinlegen konnten. Lucas erschauerte jedes Mal, wenn ihn Ezra dabei unwillkürlich berührte. Er wünschte sich den Morgen herbei. Er wünschte sich, die Nacht möge nie enden. Er wünschte sich, sie könnten bis in alle Ewigkeit an diesem Grab arbeiten. Immer wieder stieg er in die Grube hinab und richtete die Decken neu. Aus Angst, gänzlich die Kontrolle über sich zu verlieren, wagte er es nicht mehr, sie anzublicken.
    Dann gab es nichts mehr zu richten.
    »Ein Gebet«, forderte Ezra ihn auf.
    »Wir sollten einen Kirchenmann holen«, sagte Lucas. Seine Stimme klang nicht sehr überzeugend.
    »Gott wohnt in unserem Herzen«, erwiderte Ezra. »Lass deins für meinen Vater und Dunja sprechen.«
    Er mied es noch immer, sie anzusehen.
    »Was für eins?«, fragte er flüsternd und blickte doch zu ihr hin. Ihr gerötetes Gesicht erstrahlte im Schein der beiden Fackeln noch berückender als damals auf dem Fest. Das dünne Architectulushemd und die eng anliegenden hellbraunen Hosen kleideten sie beinah noch schmeichelhafter als das ausgeschnittene grüne Festgewand jenes denkwürdigen Abends. Am liebsten wäre er vor ihr auf die Knie gesunken. Er würde jedes Gebet sprechen, das sie von ihm verlangte, jeden Stein oder Baum anbeten, den sie verehrte, jeden Gott anrufen, dem sie huldigte. Sie war eine Lügnerin und gewiss mit dem Teufel im Bund. Doch selbst mit dem würde er bedenkenlos paktieren, um in ihrer Nähe bleiben zu dürfen. Welches Gebet erwartete sie jetzt von ihm?
    Iosefos war nie zu Gottesdiensten des Hofes erschienen. Darüber war gemunkelt und gemurrt worden. Jahre zuvor hatte König Karl höchstselbst bei der Abendmahlzeit Iosefos einmal darauf angesprochen: »Der Baumeister meiner Kirche geht nie zum Gebet in ein Gotteshaus und besucht keine heilige Messe?«
    »Nein«, hatte Iosefos geantwortet.
    »Was hält dich davon ab, Iosefos aus Konstantinopel?«
    »Die Arbeit, Herr König.«
    »Die am siebten Tage ruhen soll.«
    »Weil Gott sein Werk betrachtet.«
    »Und deshalb solltest du ihn an diesem Tag besonders ehren und ebenfalls die Arbeit ruhen lassen.«
    »Gott betrachtet sein Werk. Es ist vollkommen. Ich betrachte unser Werk. Das ist nicht vollkommen. Darum lässt es mich nicht ruhen.«
    »Es kann nur vollkommen werden, wenn du dich an Gottes Regel hältst.«
    Das war deutlich. Nie wieder hatte irgendjemand Iosefos an Sonntagen arbeiten gesehen. Dennoch war er nicht zur Messe erschienen. Doch darüber hatte König Karl kein Wort mehr verloren. Dem Architectulus, der zwar in die Kirche ging, sich aber nie bekreuzigte, machte niemand Vorhaltungen. Zu viele Menschen konnten sich daran erinnern, ihn zuerst in einem Sarazenerkleid gesehen zu haben. Das heimlich Befürchtete wurde zwar nie ausgesprochen, dennoch hatte man Ezra anfangs mit großem Misstrauen beäugt. Da aber der Architectulus unter dem ausdrücklichen Schutz des Königs stand und ihm zudem im täglichen Leben kein widerchristliches Verhalten anzulasten war, schwand nach und nach das Unbehagen.
    »Führe mich«, flüsterte Lucas jetzt. »Sprich du das erste Gebet.«
    Ezra blickte auf die beiden verhüllten Körper, die tief genug gebettet waren, um von den Schritten Darübergehender nicht belästigt zu werden. Sie wusste nicht wirklich, wes Glaubens sie gewesen waren. Ihr Vater war zwar offiziell zum Islam übergetreten, aber Ezra zweifelte nun mehr denn je daran, dass er sich von Allah das Herz wirklich hatte rühren lassen. Dann hätte er sie nie christlich taufen können, wie Dunja behauptet hatte. Theresa, dachte Ezra benommen, als Frau trage ich einen christlichen Namen. Doch irgendeinen Glauben musste ihr Vater gehabt haben, denn er hatte gelegentlich vom Allmächtigen Aller gesprochen. Dies rechtfertigte gewiss ein muslimisches Gebet. Zumal sich Iosefos in der Bagdader Öffentlichkeit an die landesüblichen Gebräuche gehalten hatte. Wie er dies auch – abgesehen von den Kirchgängen – im Frankenland getan hatte. Von Dunja wusste sie nur, dass diese weder der christlichen noch der muslimischen Religion angehangen hatte. Sie hatte selbst offenbar keiner Kirche bedurft, aber sogar in der Fremde Mühsal auf sich genommen, um Ezra zu helfen, den Regeln ihrer eigenen Religion nachzukommen.
    Ezra schämte sich. Nichts wusste sie von der Frau, die sie

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