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Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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Holzböcke heranschaffen und ein Brett darauflegen. Wo sonst, wenn nicht über der letzten Ruhestätte ihres Vaters, sollte ihr eingegeben werden, wie die Kuppel aus Stein zu wölben war? Wenigstens das konnte sie für ihn tun: seine Arbeit vollenden.
    »Wir müssen bald den Estrich legen.«
    »Morgen kümmere ich mich um den Bodenbelag.«
    Sie hatten beide gleichzeitig gesprochen.
    Ein Schauer fuhr durch Ezras Körper. Sie setzte sich auf die graue Decke.
    »Dir ist kalt«, sagte Lucas besorgt. »Zieh dich wieder an und lass uns gehen.«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Ich muss hierbleiben.«
    »Es gibt keine Decke mehr.« Er sank auf die Knie, als er ihr das Marderfell umlegte und die starken und doch so zarten Arme berührte.
    »Wer bist du, mein fremdes Mädchen?«, flüsterte er heiser.
    Sie wandte ihm ihr Gesicht zu, strich ihm mit einer unendlich zärtlichen Gebärde über die Wange und flüsterte zurück: »Nur das. Dein fremdes Mädchen.«
    Er nahm ihr Gesicht in beide Hände.
    »Ich habe dich schon geliebt, bevor ich dich kannte«, sagte er.
    »Ich weiß«, gab sie zurück. »In einem Traum. Aber vielleicht war das die Wirklichkeit, und dies ist der Traum.«
    »Dann möge er unser Leben lang andauern«, sagte er.
    Sie hob ihm ihre Lippen entgegen. Der Marderpelz glitt von ihrer Schulter. Behutsam schob Lucas seine Hände unter Ezras Hemd, hob es an und löste die Brustbinde.
    »Du sollst frei sein«, flüsterte er. »Nichts darf dich jemals wieder einzwängen.«
    Sie blickte überrascht auf ihren entblößten Busen. Eine unfassliche Wärme strahlte von den Händen aus, die sanft über die dunklen Knospen strichen. Eine Wärme, die sich schnell in ihrem ganzen Leib ausbreitete und in ihrem Schoß zusammenströmte. Ihr schien, als spräche ihr Körper zu ihr, als bedankte er sich für die Aufmerksamkeit, für die erste Wahrnehmung seiner weiblichen Existenz. Dieser Körper hatte sie viele Jahre hindurch getragen und ihr nur selten die Verleugnung verübelt. Jetzt sollte er zu seinem Recht kommen. Die Zeit der Wahrheit war angebrochen.
    Erste weiße Flocken rieselten später in das Oktogon hinein. Doch die beiden ineinander verschlungenen Menschen auf der grauen Decke über dem Grab spürten den Schnee nicht, der auf ihrer Haut schmolz.

kapitel 11
    mosaike
    Lass nur das Schicksal mit verhängten Zügeln jagen.
    Und leichten Sinnes stets verbringe du die Nacht!
    Denn eh des Auges Blick, gesenkt, sich wieder hebet,
    Hat Allah bereits ein Ding zum anderen gemacht.
    Aus 1001 Nacht (die 799. Nacht)
    bagdad, september 798
    I saak öffnete die Augen und schloss sie sogleich wieder. Ich bin im Garten Eden, dachte er. Wo sonst könnte ich in einem edlen, weißen Gewand auf einem weichen Bett aus feinster Seide inmitten solcher Pracht erwachen? Umgeben von üppig blühenden Blumen, die aus leuchtend bunten Mosaiken emporwachsen? Wo sonst würde ein goldgefiederter Vogel in einem Baum mit Blättern aus zartestem Silber unter dem wolkenlosen Azur des Himmels ein so wohlklingendes Lied anstimmen können? Wo sonst könnte sich diese ganze Herrlichkeit in dem Diamantwasser eines Alabasterbeckens spiegeln, während mir eine köstlich duftende laue Brise die Wange streichelt? Nur einer kann mich hierhergebracht haben, der Gevatter Tod. Ich habe ihn im Flimmerlicht der unbarmherzigen Wüste heranfliegen sehen. Der Speer wird mich getroffen haben, denn ich erinnere mich an nichts, was danach kam. Und ich spüre keine Schmerzen.
    Ich bin also tot.
    Lebte ich noch, könnte ich jetzt den Streit der jüdischen Gelehrten über die Frage schlichten, was denn nach dem Leben komme. Als Toter kann ich ihnen leider nicht mitteilen, dass es die Schattenwelt, die gottferne Scheol, offensichtlich doch nicht gibt. Wenn ich die Augen noch einmal öffne, werde ich vielleicht sogar jenen Rabbinern recht geben können, die wissen wollen, was Moses bei seiner Auffahrt zum Paradies sah, nämlich die von Engeln bewachten Throne aus Gold, Silber und Edelsteinen. In diesem Fall wird mir allerdings das Anrecht auf einen Thron aus Perlen verwehrt sein, denn ich habe nicht Tag und Nacht die Thora studiert. Doch als Reumütiger dürfte ich das auf einem Thron aus Gold nachholen. Dies muss der Garten Eden sein, wiewohl er den Beschreibungen des Paradieses der Muslime verteufelt ähnlich sieht. Aber dort würde mir wohl kaum Einlass gewährt werden.
    »Setz dich auf, Jude!«
    Die Stimme sprach Arabisch und gehörte nach allem, was Isaak wusste, noch der

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