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Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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fassungslos an.
    »Es ist das Beste«, erwiderte Ezra. »Er hätte es so gewollt. Er soll unter der Kuppel ruhen, die wir für ihn bauen werden.«
    Bei diesen Worten zog Frieden in ihr ein. Sie brauchte ihren Vater nicht irgendwelchen Fremden auszuliefern, die ihn nach einem Ritus bestatten würden, von dem er zu Lebzeiten nichts gehalten hatte. In einer Erde, die nichts mit ihm zu tun hatte. Umgeben von Menschen, die ihm nichts bedeutet hatten. Sein Zuhause in der Fremde hatte er nur in diesem künftigen Dom gefunden. Und so sollte es bleiben.
    »Wir können ihn unmöglich hier bestatten«, versetzte Lucas heftig.
    »Er kann nirgendwo anders liegen.«
    »Und Dunja?«, fragte Lucas.
    »Neben ihm. Sie hat ihn geliebt und für ihn gelebt«, hörte sich Ezra sagen. Sie schüttelte den Kopf. Wieder einmal war ihr Mund den Gedanken zuvorgekommen. Das Sprechen blieb eine gefährliche Angelegenheit. Ein Teil des soeben erlebten Wahnsinns musste ihr noch innewohnen. Schließlich war Liebe kein Wort, das sie bei klarem Verstand oder auf dem Wachstäfelchen ihrem Vater oder Dunja zugeordnet hätte. Doch mit ihrer Bemerkung schien sie Lucas überzeugt zu haben. Behutsam hob er den zerschmetterten Körper an.
    »Lass sein«, wehrte er Ezras Hilfe ab. »Ich kann sie allein tragen.«
    Er schwieg, bis er Dunja neben Iosefos abgelegt hatte und sie beide Leichname sorgsam in Decken eingehüllt hatten. Dann sagte er: »Die Menschen werden wissen wollen, wo das Grab deines Vaters ist.«
    »Welche Menschen?«, gab Ezra zurück.
    »Einhard … «
    Er kam nicht weiter, denn Ezra verschloss ihm den Mund mit einem schnell dahingehauchten Kuss. Bevor sich Lucas von seiner Überraschung erholen konnte, hatte sie schon zu einem Spaten gegriffen, der an der Mauer lehnte. Sie stieß ihn mit aller Kraft in die Sauberkeitsschicht des Bodens.
    »Wenn Einhard meinem Vater nah sein will, soll er sich hierherbemühen«, sagte sie und warf eine Schippe Erde zur Seite. »Wie alle anderen auch.«
    Lucas berührte seine Lippen mit dem Zeigefinger.
    »Xenia … «
    »Ezra.«
    »Ezzrahh … « Er zog den Namen in die Länge, als hätte er ihn noch nie ausgesprochen. Wie hatte er so blind sein können? Vor seinem inneren Auge wechselten Bilder einander ab; unbedeutende Bewegungen, die er einer Familienähnlichkeit zugeschrieben hatte, der eigenartige Schwung eines Buchstabens auf Ezras Täfelchen und in Xenias Briefen, das Mal auf der Stirn, eine unschuldige Umarmung, bei der sich Ezra seltsam verlegen verhalten hatte. Die frühe Weigerung, mit ihm in einem Bett zu schlafen oder ins Badehaus zu gehen, die Bemühungen ihres Vaters, sie einander nicht nahekommen zu lassen; der abgeschlossene Werkraum, wenn heißes Wasser für die Zinkwanne gebracht wurde. Und niemals hatte er Xenia und Ezra zusammen gesehen. Warum war ihm das nicht aufgefallen?
    Er berührte die grüne Kordel, die Xenias Apfelkuppel gehalten hatte, dachte an ihre Kommentare und Einwürfe und schalt sich einen rechten Esel. Spätestens da hätte er Verdacht schöpfen müssen, als ein Mädchen aus Konstantinopel so kenntnisreich über die sehr spezielle Architektur ihres Baus geredet hatte. Zudem noch über jene Bereiche, in denen sich Ezra besonders gut auskannte.
    Doch was war der Sinn dieser ganzen Verstellung? Es mochte Gründe gegeben haben, die Iosefos dazu gezwungen hatten, seine Tochter als seinen Sohn auszugeben. Aber weshalb hatte Ezra ihren einzigen und besten Freund nicht ins Vertrauen gezogen, sondern ihn hintergangen? Und schlimmer noch, ihn in ihrer Rolle als Xenia zum Narren gehalten, sich an seiner Liebesqual ergötzt und ihn auf Briefe warten lassen, die angeblich aus dem fernen England kamen.
    Groll stieg in ihm auf. Sie hat mit mir gespielt. Sie hat mich belogen, betrogen und der Lächerlichkeit preisgegeben. In ihrer einsamen Schlafhöhle wird sie sich vor Lachen über den einfältigen fränkischen Tölpel die Seiten gehalten haben. Und sich ausgemalt haben, wie sie das böse Spiel noch weiter würde treiben können. Sie ist eine Teufelin. Nie wieder werde ich ihr auch nur ein Wort glauben können, nie wieder mit ihr zusammenarbeiten.
    Ja, Xenia ist tot. Nein, sie hat nie gelebt. Sie war ein Gespenst. Das mir zum Glück niemals mehr erscheinen wird und dem ich keinesfalls nachtrauern werde. Ich spucke auf die Erinnerung.
    Er spuckte tatsächlich aus und beobachtete, gegen eine Säule gelehnt, wie Ezra den Spaten mit ähnlicher Leidenschaft in den Boden stieß, mit der sie

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