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Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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irdischen Welt an, denn es war die von Yahya ibn Kalid, dem Wesir des Kalifen Harun al Raschid. Isaak riss die Augen auf.
    »Helft ihm, er ist noch zu schwach.«
    Zwei Diener eilten herbei. Der eine richtete den Oberkörper des Fernhändlers auf; der andere stopfte ihm Kissen aus Goldbrokat in den Rücken.
    Ich bin nicht tot, ich lebe, dachte Isaak fast enttäuscht und griff sich an die Brust. Sein Herz klopfte heftig, aber von einer Wunde war dort nichts zu spüren. Der Speer muss mich verfehlt haben. Aber wie bin ich hierhergelangt? Wer hat mich in dieses Paradies auf Erden gebracht, offenbar einen versteckten Palastgarten des Kalifen? Und wo sind die anderen? Suchend sah er sich nach seinen Reisebegleitern um.
    »Du bist leider der Einzige von eurer Vorhut, der überlebt hat«, bemerkte der Wesir.
    »Es waren Beduinen«, sagte Isaak. Langsam kehrte seine Erinnerung zurück. Der Speer hatte ihn nicht getroffen, weil er vor Schreck wieder einmal vom Pferd gefallen war, mitten in die Meute der Kampfhunde hinein. Da erst hatte er das Bewusstsein verloren. »Kurz vor den Toren Bagdads ist eine Reiterhorde aus der Wüste aufgetaucht und hat uns überfallen.«
    Yahya schüttelte den Kopf. Er hob die Rolle, in der Isaak Schutzbrief und Grußbotschaft des fränkischen Königs verwahrt und die er stets am Leib getragen hatte.
    »Schweig davon!«, befahl der Wesir. »Wir können solche Gerüchte nicht zulassen. Niemand würde es wagen, Gesandte des hochverehrten großen Königs Karl im Herrschaftsgebiet unseres mächtigen und geliebten Kalifen anzugreifen, noch dazu kurz vor den Toren der Stadt.«
    Stimmt, dachte Isaak, es darf nicht ruchbar werden, dass uns Araber angegriffen haben, schon gar nicht, nachdem Karl in seinem Schreiben an den Kalifen Überfälle räuberischer Beduinen auf christliche Gemeinden in Bagdad beklagt hat. Achtzehn Mönche waren dabei im Vorjahr ums Leben gekommen. Isaak kannte den Brief des Königs auswendig; schließlich hatte er ihn im Auftrag Karls selbst verfasst. Es hatte ihn viel Mühe gekostet, Karls Drängen auf besseren Schutz für alle Christen in Haruns Reich zwischen blumigen Lobgesängen unterzubringen. Die meiste Tinte aber hatte er auf eine würdige Danksagung für die großzügigen Gaben des hochgeschätzten arabischen Bruders verwendet, vor allem für jene den Kirchenbau so begünstigende, die lieber ihre Kunst sprechen lassen als selbst den Mund aufzumachen.
    »Was also ist den Grafen Lantfrid und Sigismund zugestoßen, den hoch angesehenen Botschaftern des Frankenkönigs?«, fragte Isaak, der nun begriff, dass er nie erfahren würde, wem er Dank für seine eigene Rettung schuldete.
    »Sie sind von den wütenden schwarzen Hunden zerfleischt worden«, schlug Yahya vor.
    Jetzt schüttelte Isaak den Kopf.
    »Die Molosser hätten uns alle verteidigt«, sagte er, »nur gegen Speere und Pfeile sind sie machtlos.« Er räusperte sich. »Jeder dieser Kampfhunde ist von König Karl höchstselbst für die Löwenjagd seines Bruders Kalif Harun al Raschid, des herrlichen Gebieters dieses glücklichen Landes, auserwählt worden. Die Tiere sind ein kostbares Geschenk. Keinesfalls dürfen sie die christlichen Grafen zerfleischt haben.« Er deutete zu Boden und bemerkte beiläufig: »Dein Mosaik, oh Herr, muss also kunstvoller zusammengesetzt werden.«
    Der Wesir runzelte nachdenklich die Stirn, klopfte sich mit der Schriftrolle auf den Unterarm und verkündete schließlich: »Die Gesandten König Karls sind einer Krankheit erlegen. Bedauerlicherweise haben sie verdorbenes Schweinefleisch zu sich genommen.«
    Isaak nickte. Mit dieser Variante war er einverstanden; zumal sie sein eigenes Überleben erklären und keine diplomatischen Verwicklungen herbeiführen würde.
    »Gut«, sagte der Wesir, »damit ist dieses Problem gelöst und muss mit dem Beherrscher der Gläubigen nicht weiter erörtert werden. Unser Herr ist just aus Raqqa zurückgekehrt. Und dir wird in wenigen Stunden die Ehre zuteilwerden, ihm Bericht über seinen weitherzigen Bruder König Karl erstatten zu dürfen. Man wird dich zu gegebener Zeit abholen. Wir haben dich bereits gewaschen und angekleidet.«
    Yahya wandte sich zum Gehen. Aber bevor er hinter einer prächtig behauenen, blumenumrankten Alabastersäule verschwand, drehte er sich noch einmal um.
    »Sag, Jude, weshalb sind die Leibwächter des Beherrschers der Gläubigen nicht mit euch zurückgekehrt?«
    Jetzt runzelte Isaak die Stirn.
    »Sie … «, begann er und brach ab.

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