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Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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seit ihrer Geburt umsorgt hatte. Dunja war eine Sklavin gewesen und im Haushalt des Iosefos gut behandelt worden. Damit sie ordentlich arbeitete und nicht davonlief. Vor dem Gesetz hatte sie den Wert eines Gegenstandes gehabt, und Ezra musste sich jetzt eingestehen, sie ihr Leben lang auch wie einen solchen benutzt zu haben.
    So sehr hat deine Mutter Meister Iosefos geliebt . Lucas hatte in allem recht gehabt. Dunja war ihr eine Mutter gewesen. Eine Frau aus Fleisch und Blut und mit eigenen Gefühlen. Ein Mensch, den sie, Ezra, mit Herzlosigkeit in den Tod getrieben hatte. Sie hatte nicht gespürt, dass Dunja nach dem Tod ihres Vaters selbst der Zuwendung bedurft und die Bestätigung gesucht hatte, immer noch gebraucht, vielleicht sogar geliebt zu werden.
    Ja, Dunja war immer für sie da gewesen. Und Ezra wusste nicht einmal, woher diese Frau gekommen war, wovon sie geträumt und an was oder wen sie geglaubt hatte. Aber sie hatte Iosefos geliebt. Und seine Tochter wahrscheinlich auch.
    Abermals stiegen Ezra Tränen in die Augen. Nichts konnte sie wiedergutmachen. Der Tod war endgültig. Sie würde Dunja niemals mehr gerecht werden können. Und ihrem Vater auch nicht.
    »Ich hätte ihn waschen sollen«, sagte sie plötzlich und deutete in die Grube. »Aber ich bin eine Frau … « Ihre Stimme verlor sich und ebbte in einem Flüstern ab: »Ich darf ihn nicht berühren. Ich hätte ihn nicht berühren dürfen.«
    »Was sagst du da?«, fragte Lucas verstört.
    Ezra achtete nicht auf ihn. Die Zeit der Lügen und Verstellungen war vorbei. Sie musste jetzt das tun, was richtig war.
    »Verzeih mir, Allah, Allmächtiger«, sprach sie auf Arabisch, breitete eine Decke auf dem Boden aus und kniete darauf Richtung Mekka nieder.
    Lucas schlug eine Hand vor den Mund.
    »Allahu akbar«, sagte sie laut, ehe sie Gott um Vergebung für alle lebenden und toten Muslime bat und um die Segnung durch den Propheten Mohammed. Nachdem sie Allah mit dem Fatiha-Gebet, der 1. Sure, gelobt hatte, versicherte sie, dass Iosefos und Dunja gute Menschen gewesen seien, und bat ihn, sich ihrer anzunehmen. Er möge ihnen seine Gnade zukommen lassen, auch wenn die Umstände ihrer Schicksale ihnen verwehrt hatten, sich dieser schon zu Lebzeiten selbst zu versichern. Schließlich sprach sie die letzten Verse von Ya Sin , der 36. Sure: »Er, der sie das erste Mal erschuf, er wird sie beleben; denn er kennt jegliche Schöpfung. Er, der für euch Feuer aus den grünen Bäumen hervorbringt; und siehe, davon habt ihr dann Brennmaterial. Ist er, der die Himmel und die Erde erschuf, nicht imstande, ihresgleichen zu erschaffen? Doch, und er ist der Erschaffer, der Allwissende. Wenn er ein Ding will, lautet sein Befehl nur: Sei!, und es ist. Also gepriesen sei der, in dessen Hand die Herrschaft über alle Dinge ruht und zu dem ihr zurückgebracht werdet!«
    Lucas stand neben der ausgehobenen Grube. Er verstand nichts von dem, was dieses Wesen in der Gestalt jener Frau, die er so verzweifelt liebte, in das Rund des Oktogons hineinrief. Doch mit einer Klarheit, die ihn bestürzte, begriff er, dass ihn dieses fremdartige Gebet für alle Zeiten mit ihr verbinden würde. Die geheimnisvolle Xenia war wahrlich tot; seine Liebe hingegen lebendiger denn je. Die Liebe zu einer elternlosen Sarazenin, die sein bester Freund war und die ihn in Abgründe blicken ließ, deren Tiefe er sich nicht einmal vorzustellen wagte.
    Ezra hatte ihr Gebet beendet. Sie stellte sich wieder neben Lucas, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt, dass sie ihren Vater und Dunja mit kehligen fremdartigen Lauten verabschiedet hatte.
    Lucas mühte sich um Sammlung, flehte Gott stumm um Führung an und sprach dann leise das Vaterunser.
    Ezra fand die Worte würdig, angemessen und durchweg Allah gefällig. Sie griff nach Lucas’ Hand. So standen sie lange Zeit mit geneigten Häuptern vor dem Grab zweier Menschen, die am Morgen dieses gerade zu Ende gegangenen Tages noch sorglos umhergegangen waren.
    Schließlich ließen Ezra und Lucas einander los, bückten sich und warfen jeder eine Handvoll Erde auf die beiden Gestalten. Und dann noch eine. Und noch eine. Solange die Umrisse zu erkennen waren, schien es nicht recht zu sein, sich der Schaufel zu bedienen oder ein weiteres Wort zu sprechen.
    Gemeinsam glätteten sie die letzte Schicht Erde mit Spaten, Hacke und bloßen Händen. Dann legte Ezra die letzte graue Decke über das Grab.
    »Hier werde ich arbeiten«, sagte sie. Am Morgen würde sie

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