Die Gabe des Commissario Ricciardi
im zweiten und letzten Stock der Kaserne. Es blickte zu der Seite, die den Landungsstegen gegenüberlag, auf ein tristes Panorama aus blinden Gleisen und verlassenen Waggons. Allerdings hörte man auf dieser Seite die Geräusche des Hafens und der Straße nur gedämpft.
Am Schreibtisch saß ein anderer Offizier, der beim Eintritt von Senior Spasiano blitzschnell aufsprang und zeitgleich zum römischen Gruß wie üblich perfekt die Hacken zusammenschlug.
– Das ist Manipelführer Criscuolo. Er überprüft die Vorgänge, die Zenturio Garofalo in Arbeit hatte, auf eventuell dringende Fälle. Criscuolo, sprechen Sie bitte ganz offen. Die Herren sind vom mobilen Einsatzkommando und untersuchen den Unfall.
Unfall, na klar, dachte Maione. Von wegen Unfall! Garofalo ist aus Versehen in ein Messer gerannt – dummerweise gleich dreißig Mal.
Criscuolo, ein großer, kräftiger Mann mit einem lächerlich dünnen schwarzen Schnurrbart, antwortete:
– Ich habe alle Unterlagen zu den laufenden Vorgängen durchgesehen. Wie Sie wissen, kümmerte sich Zenturio Garofalo um die Kontrolle der Kleinfischerei an der bewohnten Küste, einem Gebiet, das sich vom Hafen bis zur Nisida-Insel erstreckt. Die Papiere enthalten die Berichte der Inspektionen bis zu diesem Monat, wie vorgeschrieben mit Angabe der Fangmengen und der kontrollierten Fischfanggebiete. Außerdem die Aufstellungen der Ausrüstung der einzelnen Boote und die
Protokolle der Sitzungen der Bezirkskommission. Wenn ich nichts übersehen habe, gibt es derzeit keine zu meldenden Verstöße.
Ricciardi unterbrach den Mann, während Maione fasziniert die Bewegungen des kleinen Schnurrbarts von Manipelführer Criscuolo beobachtete, die anscheinend unabhängig von seiner Oberlippe erfolgten.
– Bitte entschuldigen Sie, was meinen Sie mit »derzeit keine zu meldenden Verstöße«?
Spasiano erklärte es:
– Wie Sie vielleicht wissen, übt die Legion zahlreiche Aufgaben aus, unter anderem die Kontrolle des Fischfangs. Es gibt zum einen die großen Fischkutter mit großer Besatzung. Diese sind aufgrund ihrer Ausmaße hier im Hafen tätig, an den ihnen zugewiesenen Molen. Und zum anderen gibt es die kleinen, die Familienboote sozusagen, die an den Stränden der Vorstadtviertel anlegen, unterhalb des Kastell dell'Ovo, in Mergellina, Bagnoli et cetera. Zenturio Garofalo war zur Kontrolle dieser kleinen Boote abgestellt. Der Manipelführer, der mit ihm zusammenarbeitete, hat sichergestellt, dass der Zenturio keine offenen Vorgänge hatte, also festgestellte, aber noch nicht gemeldete Verstöße. Es gilt schnell zu reagieren, um zu verhindern, dass jemand, der rechtswidrig gehandelt hat, Abhilfe schafft und sich auf diese Weise einer Untersuchung entzieht.
Ricciardi nickte nachdenklich.
– Verstehe. Und hat Zenturio Garofalo kürzlich irgendeinen schweren Verstoß gemeldet, in dessen Folge eine Maßnahme gegen jemanden in Gang gesetzt wurde?
Spasiano gab die Frage durch ein Zeichen an Criscuolo weiter. Criscuolos Schnurrbart zuckte über der unbeweglichen Lippe wie die Schnurrhaare einer Katze.
– Nein, Commissario. Ein paar kleinere Sachen, wie sie immer vorkommen: irreguläre Netze, kleinere Übertretungen der Grenzen privater Gewässer. Leichte Ordnungswidrigkeiten. Der Zenturio wurde sehr geschätzt und war bekannt für seine Korrektheit; die Fischer wussten das und passten sich an.
Ricciardi wandte sich erneut an Spasiano:
– Der Konsul hat vorhin Garofalos Beförderung zum Zenturio erwähnt, genauer gesagt die Umstände, unter denen diese erfolgte. Was können Sie mir dazu sagen?
Spasiano traf diese Frage unvorbereitet. Er sah Criscuolo an, der mit Ausnahme eines Zuckens der Barthaare keine Miene verzog. Sodann errötete er, öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Ricciardi wollte ihm zu Hilfe kommen.
– Der Konsul sagte mir, ich könne Sie alles fragen, was mir erforderlich erscheint. Sollte das ein Problem sein, können wir gerne zu ihm zurückgehen.
Maione lächelte honigsüß. Niemand außer Ricciardi verstand sich so gut darauf, in die Schwachstellen der Bürokratie einzudringen. Spasiano blinzelte und gab sofort nach.
– Garofalo war Zweiter Manipelführer. Der entsprechende militärische Dienstgrad ist Leutnant. Das bedeutet, dass er mit einem Vorgesetzten arbeitete, einem Offizier, der einem bestimmten Bereich vorstand, also einem bestimmten Kontrollsektor.
Er hielt inne und betrachtete seine Stiefelspitzen. Ricciardi und Maione warteten. Criscuolo
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