Die Gabe des Commissario Ricciardi
verschob ein Blatt Papier auf dem Schreibtisch des Verstorbenen. Draußen ertönte der düstere Klang einer Sirene, den der immer stärker werdende Wind hertrug. Spasiano nahm seine Erzählung wieder auf:
– Der Offizier war Manipelführer Antonio Lomunno, einer der Jüngsten seines Dienstgrades mit guten Aussichten auf eine Beförderung. Der Kontrollsektor, dem er vorstand, war der Schmuggel, eine wahre Plage, vor allem, was Tabak, Gewürze und Kaffee betrifft. Sie arbeiteten gut, hatten verschiedene Händel auffliegen lassen.
Es folgte erneutes Schweigen. Diesmal hörte man Criscuolo seufzen. Maione entging nicht, dass auch sein Schnurrbart wieder zuckte. Dem Senior fiel das Weitersprechen ganz offensichtlich nicht leicht. Seine Stimme wurde leiser:
– Eines Tages klopft Garofalo an die Tür des Konsuls, ohne sich vom Amtsgehilfen melden zu lassen. Er sagt, er habe etwas aufzuzeigen und könne das nur im Beisein des höchsten Diensthabenden der Legion tun. Der Konsul ruft mich, um mit dabei zu sein und die Gehorsamsverweigerung gegebenenfalls bezeugen zu können. Garofalo meldet, einen wichtigen Fall von Kaffeeschmuggel entdeckt zu haben, der seit mehreren Monaten, eventuell schon Jahre andauere. Er sagt, er habe seinen Vorgesetzten, Lomunno, über diese Entdeckung informiert, sei von ihm aber aufgefordert worden zu schweigen.
Maione fiel auf, dass Criscuolo Spasiano vorwurfsvoll anstarrte.
Ricciardi fragte:
– Und warum sollte Lomunno Garofalo zu schweigen befohlen haben?
Spasiano fuhr fort:
– Eben. Der Konsul stellte dieselbe Frage. Garofalo berichtete, sein Vorgesetzter habe ihm sogar Disziplinarmaßnahmen angedroht, wenn er reden würde, und sagte, er habe den Grund dafür zunächst nicht verstanden. Er erzählte, später habe er
einige der Schmuggler festgenommen und einer von ihnen habe ihm, um freigelassen zu werden, gestanden, er zahle Lomunno jeden Monat einen festen Betrag, damit er seinen Geschäften weiter frei nachgehen könne.
Criscuolo seufzte erneut. Maione fragte:
– Konnte Garofalo das denn beweisen? Oder reicht's schon, einen bloß zu beschuldigen, einfach so von heute auf morgen?
Spasiano antwortete:
– Selbstverständlich war es so, Brigadiere. Wir sind keine Wilden. Im Übrigen war Lomunnos dienstlicher Werdegang tadellos, ich hab's ja schon erwähnt, er war einer der besten Offiziere der Legion, erfahren und tüchtig, sehr intelligent und scharfsinnig. Doch Garofalo meinte, der Schmuggler, der allerdings anonym bleiben wollte, habe ihm den genauen Tag genannt, an dem er Lomunno die monatliche Summe zahlen würde, und dieser Tag war eben jener. Garofalo forderte uns auf, den Offizier zu durchsuchen, der gerade von einer Inspektion zurück in die Kaserne gekommen war.
Maione war erstaunt.
– Und Sie haben ihm geglaubt?
Spasiano zuckte mit den Schultern.
– Was hätten wir tun sollen? Der Konsul sagte zu Garofalo, falls die Anschuldigungen sich als unbegründet erweisen sollten, würde er zur Strafe unehrenhaft aus dem Korps entlassen und habe auch mit einer Anklage wegen Verleumdung eines Offiziers der freiwilligen nationalen Miliz zu rechnen.
– Was hat er darauf geantwortet? – wollte Maione wissen.
– Er fragte: Und wenn es stimmt? Was wäre dann mein Lohn?
Criscuolo schnaubte. Dann fragte er:
– Kann ich gehen? Ich mache später weiter, dann können Sie …
– Nein, bleib bitte, Criscuolo, – antwortete Spasiano, – es ist besser, wenn noch jemand anderes hört, was ich erzähle. Die Order stammt vom Konsul, aber es handelt sich nichtsdestoweniger um vertrauliche Informationen.
– Zu Befehl.
Ricciardi hatte den Wortwechsel aufmerksam verfolgt. Anscheinend war es Criscuolo unangenehm, einer Geschichte zuzuhören, die er doch eigentlich genau kennen musste. Spasiano sprach weiter:
– Wir waren dermaßen überzeugt davon, dass es sich um üble Nachrede handelte, dass der Konsul in meinem Beisein sagte: Sollte deine Behauptung stimmen, hätte Lomunno mit der Höchststrafe zu rechnen. Korruption ist ein Krebsgeschwür, das die Legion sich nicht leisten kann. Du hingegen würdest befördert werden, weil du den Mut hattest, … einen nichtswürdigen Kollegen anzuzeigen.
Ein kalter Nieselregen hatte zu fallen begonnen und sprenkelte die Fensterscheiben.
– Und wie ging's aus? – fragte Maione, vor allem, um das Schweigen zu brechen.
– Man fand Lomunno in seinem Büro mit einer großen Summe Bargeld bei sich. Er war nicht in der Lage zu erklären,
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