Die Gabe des Commissario Ricciardi
ob er's noch schafft, sie fertig zu sehen.
Draußen donnerte das Meer und unterstrich so auf dramatische Weise den letzten Satz des Mannes.
In Boccias Stimme jedoch lag keinerlei Dramatik, keinerlei Selbstmitleid. Es war, als spreche er von der Wetterlage. Er fuhr fort:
– Wegen ihm sind wir letzte Woche zu Zenturio Garofalo gegangen. Wäre es Vincenzino gut gegangen, hätten wir den Mund gehalten und so weitergemacht.
Maione fragte:
– Was wollen Sie damit sagen?
Boccia hatte den Überrock aus Öltuch ausgezogen und ihn zusammen mit dem Hut auf einen Hocker in der Nähe der Tür gelegt. Sein Sohn sprang sofort auf, nahm ihn und brachte ihn in ein Schränkchen beim Herd. Eingespielte Bewegungsabläufe einer ganz normalen Familie.
– Was wissen Sie über unseren Beruf? Kennen Sie irgendeinen Fischer?
Maione schüttelte den Kopf, Ricciardi sagte nichts.
– Man verdient nichts dabei. Die Leute glauben, in einem Golf wie diesem gäbe es Fische zuhauf, aber das stimmt nicht. Manchmal sind wir den ganzen Tag auf See und fangen nichts. Wir kennen uns aus, ändern unsere Standorte, schließen uns zusammen. Aber was wir auch tun, wir kommen gerade so über die Runden.
Die Frau rückte für ihren Mann einen Stuhl an den Tisch und er ließ sich erschöpft darauf fallen.
– Seit vier Uhr morgens bin ich draußen gewesen, über zwölf Stunden. Bei hohem Seegang ist's noch schwieriger, man sollte eigentlich gar nicht rausfahren. Aber was sollen meine Kinder dann essen? Also riskieren wir, dass das Meer unser Netz wegspült, das Segel setzen wir erst gar nicht, sondern rudern. Wir teilen uns zu viert ein Boot.
Ricciardi hörte aufmerksam zu:
– Sie haben uns nicht gesagt, warum Sie neulich zu Garofalo gegangen sind.
Der Mann bedeckte sich mit der Hand das Gesicht. Maione fiel auf, dass es verletzt war, ein paar dünne blutige Streifen. Boccia bemerkte seinen Blick und sagte:
– Das sind Kleinigkeiten, Brigadiere. Kleine Kratzer von den Netzen, den Seilen, den Rudern. Die tieferen Wunden sehen Sie in dem Kinderbettchen.
Die Frau stellte sich neben ihren Mann, den Blick fest auf die beiden Polizisten gerichtet. Der Mann sprach weiter:
– Sie wissen ja, es gibt Gesetze zum Fischfang. Es sind komische, ziemlich unverständliche Gesetze, aber wir leben trotzdem von der Fischerei. An guten Tagen fangen wir mit unserem Boot zwei, drei Doppelzentner. An schlechten Tagen auch mal gar nichts. Wir dürfen keine Jungfische fangen, was bedeutet, dass wir an bestimmte Stellen des Meeres, wo die Fische laichen, nicht hindürfen. Wir dürfen auch nicht in privaten Gewässern fischen, als ob das Meer Gitter und Tore hätte. Wir dürfen keine Sprengstoffe benutzen, das verstehe ich, das ist auch richtig. Wir brauchen Lizenzen und Konzessionen und müssen alle Steuerquittungen aufheben.
Der Mann war erschöpft und sprach mit kaum hörbarer Stimme. Das Licht im Raum kam von zwei Laternen, die draußen in der Zugluft baumelten, und erhellte das Zimmer durch die alten und halb kaputten Fensterflügel.
– Die Miliz kontrolliert die Fischer. Auch wenn jemand alle Vorgaben erfüllt, gibt's zusätzlich noch was zu zahlen. So war's immer und keiner von uns beschwert sich darüber. Es ist wie eine weitere Steuer. Und dann kam Garofalo.
Maione nickte, die Information passte zu dem, was er von Bambinella erfahren hatte.
– Und was hat sich geändert?
– Am Anfang erschien er uns besser als die anderen, viel besser. Er hat alle Bootsbesitzer zusammengerufen und hat zu uns gesagt: Von jetzt an müsst ihr niemandem etwas abgeben. Niemandem. Sie können sich wohl vorstellen, wie froh wir waren – endlich eine Ausgabe weniger auf dem Buckel. Das hat fast ein Jahr lang gedauert.
– Und dann?
– Dann eines Tages kam er hierher in unser Viertel. Es war Sommer, wir waren draußen auf dem Platz, haben ein bisschen Musik gemacht, getanzt. Hin und wieder feiern wir, wenn der Tag gut gelaufen ist, die Leute hören uns sogar noch in den Hotels, sie lehnen sich aus den Fenstern und klatschen in die Hände. Er kommt also her, allein, in Uniform. Nimmt ein paar von uns zur Seite und sagt: Ist euch klar, dass ihr in den Gewässern des Herzogs Soundso gefischt habt, in Posilippo? Wir sehen uns an und sagen: Das kann nicht sein. Wir passen gut auf, wohin wir rudern, und da unten fängt man ohnehin nichts. Darauf er: Seht ihr? Woher wisst ihr denn, dass man nichts fängt, wenn ihr nicht da gewesen seid? Und er verpasste uns ein
Weitere Kostenlose Bücher