Die Gabe des Commissario Ricciardi
Bußgeld.
Maione und Ricciardi sahen sich an.
– Ein Bußgeld? Ist das denn schlimm?
Boccia lachte hämisch.
– Das Geld ist gar nichts. Schlimm ist was anderes: Wenn man innerhalb eines Jahres eine zweite Strafe derselben Art erhält, kann einem die Konzession für bis zu sechs Monate entzogen werden. Rückfällig werden nennt man das.
Maione nickte.
– Dann hatte er Sie also in der Hand.
– Ganz genau, Brigadiere. Wenn einem wie mir die Konzession entzogen wird, kann man sich genauso gut die ganze Familie schnappen, ins Boot setzen, aufs Meer rausfahren und sie ertränken. Lieber kurz und schmerzlos sterben als den Hungertod.
– Und was wollte Garofalo?
– Er hatte sich seine Opfer gut ausgesucht, Commissario. Die Männer, die am häufigsten rausfuhren, die mit kleinen Kindern. Die sich keine Pausen leisten konnten. Er wartete auf dem Markt auf uns und sackte das Geld gleich von den Händlern ein. Zehn, zwanzig Prozent. Je nachdem, wie der Tag gelaufen war.
– Und Sie, ist Ihnen nie in den Sinn gekommen, ihn anzuzeigen?
Wieder lachte Boccia.
– Ihn anzeigen? Unser Wort gegen das eines Zenturios der Miliz, eines Faschisten? Uns hätten sie ins Gefängnis gesteckt und ihn befördert, glauben Sie mir. Sie hätten gesagt, dass wir ihn loswerden wollen, damit wir unsere Ruhe haben. Wir konnten nichts tun.
Maione konnte es nicht fassen.
– Das heißt, ihr habt nichts getan? Ihr habt euch der Situation gefügt, gezahlt und geschwiegen?
– Wir sind's gewohnt, Brigadiere. Es war schon immer so: Mal der eine, mal der andere, aber immer dasselbe. Garofalo allerdings hat nie genug bekommen, er wollte immer mehr. Ich hätte es trotzdem geschafft, wenn Vincenzino nicht krank geworden wäre.
Die Frau trat einen Schritt vor, aus dem Schatten heraus.
– Ich hab' Aristide darum gebeten. Als der Doktor gegangen war, der gesagt hatte, dass es ohne die Medikamente keine Hoffnung gäbe, hab' ich gesagt: Lass uns hingehen und mit ihnen reden. Ich hab' gedacht, dass er ja auch eine Tochter hat und nah am Meer wohnt, also wissen musste, wie hart das Leben der Fischer ist. Aristide wollte nicht. Ach was, hat er gesagt, du spinnst, der interessiert sich doch einen Dreck für uns und Vincenzino. Aber ich hab' nicht lockergelassen. Ich hab' gesagt: Wenn wir ihm ins Gesicht sehen, mit ihm reden, vielleicht lässt er uns dann wenigstens so lange in Ruhe, bis es Vincenzino ein bisschen besser geht. Eigentlich schuldete er uns das.
Ricciardi dachte an das Abbild Garofalos, das, aus allen Wunden blutend, kaltschnäuzig wiederholte: Ich muss gar nichts und schulde niemandem etwas .
– Zu guter Letzt sind Sie dann zu ihm gegangen.
– Ja. Ohne was mitzubringen, denn er hatte uns ja x-mal gesagt, keiner soll ihm was nach Hause bringen, weil die Nachbarn nicht denken sollten, er nimmt uns aus. Wir haben gehofft, dass zumindest seine Frau, die ja auch Mutter war, uns verstehen und Gnade walten lassen würde, wie die Jungfrau Maria, Mitleid haben würde mit uns einfachen Arbeitern.
Vor Ricciardis und Maiones geistigem Auge erschienen der zerbrochene heilige Josef und die auf den Esel gekippte Madonna.
– Wie hat man Sie empfangen?
– Aufgemacht hat uns die Signora, zusammen mit dem Mädchen. Sobald sie uns gesehen hat, hat die Kleine gesagt: Mama, die Leute stinken. Ihre Mutter hat angefangen zu lachen, dann ist er dazugekommen. Nicht mal hinsetzen durften wir uns.
Ihr Mann setzte die Erzählung fort:
– Ich hatte mir genau zurechtgelegt, was ich sagen wollte: der Kleine, die teure Medizin. Von wegen! Die haben sich angeschaut und herzlich gelacht. Er hat gesagt: Wenn du nicht sofort freiwillig gehst, ruf ich meine Kollegen und lass dich einsperren. Meine Frau hat sich an die Signora gewandt …
– … und zu ihr gesagt: Signora, Sie sind auch Mutter, mein Sohn ist sehr krank.
Maione hörte zu, obwohl er lieber nichts hören wollte.
– Und was hat sie Ihnen geantwortet?
Die Frau sah wie versteinert aus.
– Sie hat freundlich gelächelt und gesagt: Ach, fürs Geld sind die Männer verantwortlich, meinst du nicht? Wir sollten uns um unsere Angelegenheiten kümmern. Außerdem hast du ja drei Kinder, ich hab' nur das eine Mädchen. Als ob ich, weil ich drei habe, auf Vincenzino auch verzichten könnte.
Wieder grollte das Meer. Durch die Fensterläden drang kein Licht mehr, es war Nacht geworden. Ricciardi fragte:
– Was haben Sie daraufhin getan?
Mann und Frau schauten sich an. Er wandte den Blick zuerst
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