Die Gärten des Mondes
er stand, wie er seine Schultern hielt. Tat der Mann normalerweise in der Majestäts-Halle Dienst? Nein, er trug die Uniform der Regulären; er gehörte nicht zur Elite-Garde. Turban Orr runzelte hinter seiner Falkenmaske die Stirn. Dann rückte der Posten seinen Helmriemen zurecht, und Turban Orr schnappte nach Luft. Er musste sich gegen die Wand lehnen, denn er zitterte plötzlich am ganzen Leib. Der Wachtturm des Despoten! Jahrelang war dieser Mann Nacht für Nacht Zeuge seiner mitternächtlichen Treffen mit seinen Verbündeten und seinen Agenten geworden. Dort stand sein Spion.
Er streckte sich, legte eine Hand auf den Knauf seines Duellschwerts. Er würde keinen Raum für Fragen lassen - und verdammt sei Simtals Empfindsamkeit, verdammt sei dieses ganze Fest. Er wollte seine Rache, schnell und sofort. Er würde nicht zulassen, dass ihn jemand aufhielt. Den Blick fest auf den Wachposten gerichtet, der noch keinerlei Verdacht geschöpft hatte, bewegte Turban Orr sich vorwärts.
Er prallte gegen eine harte Schulter und taumelte zurück. Ein großer Mann mit einer Tigermaske drehte sich zu ihm um. Orr wartete auf eine Entschuldigung, doch sein Gegenüber blieb stumm. Der Ratsherr wollte keine Zeit verlieren und machte Anstalten, um den Mann herumzugehen.
Der Mann streckte einen Arm aus und hielt ihn auf. Turban Orr fluchte, als eine behandschuhte Hand ihm Wein über die Brust schüttete. »Idiot!«, schnappte er. »Ich bin Ratsherr Turban Orr! Aus dem Weg!«
»Ich weiß, wer Ihr seid«, sagte der Mann ruhig.
Orr stieß dem Mann einen Finger gegen die Brust. »Behaltet die Maske auf, damit ich weiß, nach wem ich mich später umsehen muss.«
»Ich habe Eure Maske überhaupt nicht bemerkt«, sagte der Mann. Seine Stimme klang ausdruckslos und kalt. »Wahrscheinlich habe ich mich von der Nase täuschen lassen.«
Ratsherr Orr kniff die Augen zusammen. »Ihr seid anscheinend wild darauf, zu sterben?«, sagte er rau. »Ich werde Euch gerne den Gefallen tun.« Die Hand auf dem Schwertgriff zuckte. »Allerdings erst in ein paar Minuten. Zunächst muss ich -«
»Ich warte auf niemanden«, unterbrach ihn Rallick Nom. »Und ganz sicher nicht auf einen dünnlippigen Gecken, der vorgibt, ein Mann zu sein. Wenn Ihr die Nerven für ein Duell habt, dann lasst uns jetzt sofort beginnen. Oder hört auf, meine Zeit mit Eurem Geschwätz zu vergeuden.«
Vor Wut zitternd, trat Turban Orr einen Schritt zurück und musterte den Mann genauer. »Wie ist Euer Name?«, wollte er mit heiserer Stimme wissen.
»Ihr seid es nicht wert, ihn zu hören, Ratsherr Orr.«
Turban Orr hob die Arme und drehte sich zur Menge um. »Hört zu, werte Gäste! Ein unerwartetes Schauspiel für Euch alle!« Ringsum erstarben die Gespräche, und alle Gesichter wandten sich Orr zu. Er fuhr fort: »Ein Narr hat meine Ehre herausgefordert, meine Freunde. Und wann hätte Turban Orr jemals eine solche Beleidigung hingenommen?«
»Ein Duell!«, schrie irgendjemand aufgeregt. Stimmengewirr brandete auf.
Orr deutete auf Rallick Nom. »Dieser Mann, der hier so kühn Trakes Gesicht zur Schau stellt, wird schon bald tot sein. Seht ihn Euch an, meine Freunde, so, wie er jetzt Euch ansieht - und wisset, dass er schon so gut wie tot ist.«
»Hört mit dem Gebrabbel auf«, sagte Rallick schleppend.
Ratsherr Orr nahm die Maske ab und enthüllte ein angespanntes Grinsen. »Selbst wenn ich Euch tausendmal töten könnte«, sagte er, »würde es mir nicht genug Befriedigung verschaffen. Doch ich muss mit einmal auskommen.«
Rallick nahm seine Maske ab und warf sie auf die mit Teppichen belegten Stufen. Er schaute Turban Orr aus ausdruckslosen, dunklen Augen an. »Habt Ihr jetzt genug Wind abgelassen, Ratsherr?«
»Demaskiert und immer noch ein Fremder«, sagte Orr mit finsterem Gesicht. »So soll es denn sein. Sucht Euch einen Sekundanten.« Plötzlich kam ihm ein Gedanke, und er drehte sich um und betrachtete die Menge. Weit hinten konnte er die Maske entdecken, nach der er gesucht hatte, eine Wolfsmaske. Die Wahl seines Sekundanten würde für ihn politisch von Vorteil sein, vorausgesetzt, der Mann würde akzeptieren. Und er wäre ein Narr, wenn er Orr inmitten dieser Menge seinen Wunsch abschlüge. »Ich würde mich geehrt fühlen«, sagte Turban Orr laut, »wenn Ratsherr Estraysian D'Arle als mein Sekundant agieren würde.«
Der Mann mit der Wolfsmaske zuckte zusammen. Neben ihm standen zwei Frauen, die eine kaum mehr als ein Mädchen. D'Arles Gemahlin war wie
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