Die Gärten des Mondes
Vordertür. Dahinter lagen der gepflasterte Gehweg und die Tore, die weit offen gelassen worden waren, im zischenden blauen Licht der Laternen. Der Dieb sprang die Stufen hinunter und rannte auf die Tore zu. Doch als er näher kam, verlangsamte er seinen Lauf; irgendwas war da draußen auf der Straße nicht in Ordnung.
Wie das Erdgeschoss in Simtals Herrenhaus war die Straße menschenleer, jedoch übersät mit Wimpeln, Bannern und Fetischen. Ein trockener Wind wirbelte Fetzen auf. Es war schwül.
Crokus trat auf die Straße hinaus. So weit er sehen konnte, war nirgends auch nur ein einziger Nachtschwärmer zu sehen. Eine bedrückende Stille lastete über der Stadt. Der Wind wand sich um ihn herum, erst aus der einen, dann aus der anderen Richtung, als suchte er nach einem Fluchtweg. Leichengeruch lag in der Luft.
Wieder stieg die Erinnerung an Mammots Tod in ihm auf. Er fühlte sich furchtbar allein, doch Rallicks Worte trieben ihn weiter. Vor wenigen Tagen hatte der Assassine wütend die Hände in das Hemd des Diebes gekrallt, ihn zu sich herangezogen - und er hatte ihn als jemanden bezeichnet, der das Blut der Stadt trank. Crokus wollte das widerlegen, gerade jetzt. Darujhistan war wichtig. Die Stadt war sein Zuhause, und sie war wichtig.
Er wandte sich in die Richtung, in der Baruks Haus lag. Die leeren Straßen hatten zumindest einen Vorteil: Er würde nicht lange brauchen. Er begann zu rennen.
Der böige Wind zerrte an ihm, peitschte ihm die Haare ins Gesicht. Die Dunkelheit hing tief über den von Gaslampen beleuchteten Straßen der Stadt. An einer Ecke kam Crokus schlitternd zum Stehen. Er hatte etwas gehört. Er reckte den Kopf, hielt den Atem an und lauschte. Da, schon wieder. Vögel und zwar, dem Geräusch nach zu urteilen, hunderte von Vögeln. Sie murmelten, krächzten, schnalzten. Und zu dem Leichengeruch gesellte sich jetzt auch noch der Gestank von Vogelnestern. Crokus runzelte nachdenklich die Stirn. Dann schaute er nach oben.
Er stieß einen überraschten Schrei aus und duckte sich instinktiv. Direkt über ihm verdeckte ein Himmel aus zerklüftetem schwarzen Stein die Sterne; er hing so tief, dass er allenfalls einige wenige Zoll von den höchsten Gebäuden der Stadt entfernt zu sein schien. Crokus starrte nach oben, bis ihm schwindlig wurde. Der Himmel rotierte langsam. In seinen pockenähnlichen Kratern, auf seinen Hängen und Klippen hatte er die ruhelosen Bewegungen nistender Raben gesehen - ölige Flecke vor einem körnigen Hintergrund.
Mondbrut war gekommen, um die Straßen zu räumen und das Festival der Wiedergeburt zum Verstummen zu bringen. Was konnte das bedeuten? Crokus hatte nicht die geringste Ahnung, doch Baruk würde es bestimmt wissen. Der Dieb begann wieder zu rennen; seine Mokassins verursachten kaum einen Laut auf dem Pflaster.
Kruppe holte tief Luft; seine Augen leuchteten, als er sich anschaute, was bei dem hastigen Aufbruch in der Küche alles zurückgeblieben war. »So ist es immer.« Er seufzte, tätschelte seinen Bauch. »Immer wieder werden Kruppes Träume wahr. Zugegeben, das Muster sucht noch immer nach seiner endgültigen Form, aber Kruppe spürt, dass mit der Welt jetzt wieder alles in Ordnung ist; der Anblick all dieser Gaben, die passend zu Kruppes neu erwachtem Appetit auftauchen, ist ein deutliches Zeichen. Schließlich verlangt das Fleisch nach Labsal.«
Noch einmal sog er die dampfende Luft genußvoll tief ein. »Wir müssen notwendigerweise darauf warten, dass sich am Ende die Münze noch einmal dreht. In der Zwischenzeit lockt natürlich all dies wunderbare Essen.«
Lorn stand im Schatten einer Gasse, von der aus sie die Tore des Simtal-Anwesens im Blick hatte. Als sie den Träger der Münze auftauchen sah, spielte ein zufriedenes Lächeln um ihre Lippen. Den Jungen zu finden war eine Sache gewesen, doch die Mandata hatte nicht im mindesten den Wunsch verspürt, den Garten zu betreten, in dem sie den Finnest vergraben hatte.
Wenige Minuten zuvor hatte sie den Tod des Jaghut-Tyrannen gespürt. War der Lord von Mondbrut in den Kampf hineingezogen worden? Sie hoffte es. Sie hatte gehofft, dass der Jaghut die Stadt erreichen, vielleicht sogar seinen Finnest wiederbekommen würde, um so dem Sohn der Dunkelheit ebenbürtig zu sein, wenn er ihn herausforderte. Im Rückblick wurde ihr allerdings klar, dass der Lord von Mondbrut das niemals zugelassen hätte.
Was bedeutete, dass Elster noch am Leben war. Nun, wenn die Stadt erst einmal in den Händen
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