Die Gärten des Mondes
würde es für ihn nicht leicht sein, seine Suche fortzusetzen. Es gab Wesen in der Stadt, die die Risse im Gefüge gespürt hatten. Und weniger als eine Minute, nachdem er durch das Tor des Gewirrs gekommen war, hatten sich seine Nackenhaare gesträubt und ihn auf einen nahen Ausbruch von Magie hingewiesen. Bisher hatte er es vermeiden können, entdeckt zu werden, doch das würde nicht ewig so weitergehen.
Er bewegte sich leise und vorsichtig durch das Labyrinth aus Hütten und Schuppen, die sich gegen die Stadtmauer drängten, und beachtete die Einwohner nicht, die hier und da herauskamen, um die frische Morgenluft zu genießen. Er stieg über Bettler, die auf seinem Weg lagen. Einheimische Hunde und Katzen warfen ihm nur einen schnellen Blick zu und machten sich dann mit eingekniffenem Schwanz schleunigst davon.
Als Giar um die Ecke eines tiefer liegenden Steinhauses bog, ließ die Morgenbrise seinen Kopf herumschnellen. Er blieb stehen, seine Blicke suchten die gegenüberliegende Straßenseite ab. Hier und da trieben vereinzelte Nebelschwaden, und die ersten unbedeutenden Händler - zum Schutz vor der Morgenkühle in warme Gewänder gewickelt - zogen ihre Karren auf die Straße. Dem Hund lief die Zeit davon.
Giars Blicke wanderten die Straße in ihrer ganzen Länge entlang, blieben an einem großen, ummauerten Herrenhaus am anderen Ende hängen. Vier Soldaten lungerten vor dem Tor herum; sie unterhielten sich miteinander und schenkten den Passanten wenig Beachtung. Giar ließ den Blick in die Höhe schweifen und entdeckte ein mit schweren Läden verschlossenes Fenster im Obergeschoss des Herrenhauses. Vorfreude und Lust durchzuckten den Schattenhund. Er hatte das Ende der Fährte gefunden. Er senkte den Kopf und setzte sich in Bewegung, den Blick starr auf die Wachen gerichtet.
Die Schicht war zu Ende. Als die neuen Wachen ankamen, bemerkten sie, dass das Tor nicht verschlossen war und weit offen stand.
»Was soll das denn?«, fragte der eine und beäugte die abgespannten Gesichter der Soldaten, die gegen die Mauer gelehnt standen.
»Das war wieder so eine Nacht... in der man keine Fragen stellt«, antwortete der Altere der beiden.
Die zwei Neuankömmlinge blickten sich an, dann nickte der, der gesprochen hatte, dem älteren Mann grinsend zu. »Die Sorte kenn ich. Na gut, verschwindet. Eure Kojen warten.«
Der ältere Mann wechselte die Pike in die andere Hand und schien in sich zusammenzusacken. Sein Blick huschte zu seinem Partner hinüber, doch der junge Mann hatte seine Aufmerksamkeit auf irgendetwas weiter unten auf der Straße gerichtet. »Ich nehme an, es ist jetzt zu spät«, sagte der ältere Mann zu den beiden Neuankömmlingen, »das heißt, es wird wohl nicht mehr passieren und ist deshalb eigentlich auch nicht wichtig, aber ... falls eine Frau auftaucht, eine von den Brückenverbrennern, tut so, als würdet ihr woanders hinsehen, und lasst sie einfach durch.«
»Seht euch mal den Hund da an«, sagte der jüngere Soldat.
»Geht in Ordnung«, sagte einer der Neuankömmlinge. »Das Leben in der Zweiten -«
»Seht euch mal den Hund da an«, wiederholte der jüngere Soldat.
Diesmal drehten die anderen sich um. Der alte Wächter starrte aus weit aufgerissenen Augen die Kreatur an, die auf sie zukam; dann zischte er einen Fluch und hob ungeschickt die Pike. Die anderen schafften nicht einmal mehr das, bevor der Hund über ihnen war.
Flickenseel lag auf ihrem Bett im äußeren Zimmer flach auf dem Rücken. Sie schlief nicht. Ihre Erschöpfung hatte einen Punkt erreicht, an dem sie nicht einmal mehr schlafen konnte, also starrte sie die Decke an, während die vergangenen sieben Tage ungeordnet vor ihrem geistigen Auge vorüberzogen. Obwohl sie anfangs verärgert gewesen war, dass sie in die Pläne der Brückenverbrenner hineingezogen werden sollte, musste sie zugeben, dass sie aufgeregt war wie schon lange nicht mehr.
Der Wunsch, ihre Habseligkeiten zusammenzusuchen, ein Gewirr zu öffnen und einfach zu verschwinden - weg vom Imperium, weg von Locke, seinem Wahnsinn, seinem Hunger, weg von den Schlachtfeldern eines endlosen Krieges -, schien nun Vergangenheit zu sein, schien aus einer Verzweiflung geboren, die sie nicht länger empfand.
Doch es war mehr als nur ihr wieder erwachter Sinn für Menschlichkeit, der sie dazu zwang, zu bleiben und diese Sache bis zum Ende durchzustehen; die Brückenverbrenner hatten schließlich oft genug bewiesen, dass sie auf sich selbst aufpassen konnten.
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