Die Gärten des Mondes
war so verblüfft, dass sie es kaum wahrnahm. Sie drehte sich zu Hauptmann Paran um, der noch immer das blutige Schwert in der Hand hielt. »Wie war das möglich?«, keuchte sie. »Wie habt Ihr die Magie des Hundes durchdringen können? Euer Schwert -«
Der Hauptmann schaute die Klinge an. »Ich nehme an, ich hatte einfach nur Glück.«
»Oponn!«, zischte Locke, der sich wieder aufgerappelt hatte und Flickenseel böse anstarrte. »Der Fluch des Vermummten möge die Narren treffen! Und was dich angeht, Weib - das werde ich dir nicht vergessen. Dafür wirst du bezahlen, das schwöre ich!«
Flickenseel sah zur Seite und seufzte. Ein Lächeln spielte um ihre Lippen, als sie sich an die Worte erinnerte, die schon einmal gefallen waren - und die jetzt eine schreckliche neue Bedeutung bekommen hatten. »Du wirst viel zu sehr damit beschäftigt sein, am Leben zu bleiben, als dass du dich noch groß um mich kümmern könntest, Locke. Du hast Schattenthron Anlass zum Nachdenken gegeben. Du wirst es noch bereuen, seine Aufmerksamkeit erweckt zu haben, Puppe. Oder willst du das etwa abstreiten?«
»Ich gehe in meine Kiste zurück«, sagte Locke. »Ich nehme an, gleich wird Tayschrenn hier auftauchen. Du sagst ihm kein einziges Wort, Zauberin.« Er kletterte in die Kiste. »Kein einziges!« Der Deckel klappte zu.
Flickenseels Lächeln wurde breiter; der Geschmack von Blut lag wie ein Omen in ihrem Mund, eine stumme, offensichtliche, an Locke gerichtete Warnung vor den Dingen, die da kommen würden. Eine Warnung, von der sie wusste, dass er sie nicht sehen konnte. Das gab dem Geschmack eine gewisse Süße.
Sie versuchte sich zu bewegen, doch es war, als hätte eisige Kälte ihre Glieder befallen. Visionen wirbelten in ihrem Geist herum, aber noch bevor sie sie richtig erkennen konnte, schlossen Wände aus Dunkelheit sie ein. Sie spürte, wie sie das Bewusstsein verlor.
Ganz in der Nähe erklang drängend die Stimme eines Mannes: »Was hörst du?«
Sie runzelte die Stirn, versuchte sich zu konzentrieren. Und dann lächelte sie. »Eine sich drehende Münze. Ich höre eine sich drehende Münze.«
Zweites Buch -Darujhistan
Welcher Glücksfall hat unsere Sinne berührt?
Jene schaukelnde Gewitterwolke,
die über die ruhigen Wasser des Sees strich,
und die Schatten eines einzigen Tags umspann
wie ein Rad, das uns
vom Morgen zum Abend gerollt hat,
während wir auf unsrem heiklen Weg entlangtorkelten.
Welche Winde ächzten entsetzliche Warnungen?
Dort, in den freundlichen Wellen,
die uns einen tanzenden Korken in den Weg spülten,
dessen feine, magentarote Fährte heranwehte,
wie ein Schmuck aus Blumenblättern,
die doch nur Asche sind,
im karmesinroten Zwielicht...
Gerüchteweise Fisher
(geb. ?)
Kapitel Fünf
Und wenn dieser Mann dich in deinen Träumen sieht,
während du in der brütenden Hitze
der Sommernacht unter dem stämmigen Ast
eines Baumes schwankst,
dein Schatten verborgen
über dem geknoteten Seil,
dann wird der Windhauch seines Vorbeiziehens
deine steifen Glieder bewegen
als würdest du laufen ...
Gerüchteweise Fisher
(geb. ?)
Das 907te Jahr des Dritten Jahrtausends
Die Jahreszeit Fanderays im Jahr der Fünf Hauer
Zweitausend Jahre nach Gründung der Stadt Darujhistan
I n seinem Traum verließ der kleine dicke Mann Darujhistan durch das Zwei-Ochsen-Tor und marschierte in Richtung der untergehenden Sonne. Die ausgefransten Schöße seines verblichenen roten Wamses flatterten hinter ihm her. Er hatte nicht die geringste Ahnung, wie weit er würde gehen müssen. Seine Füße schmerzten jetzt schon.
Es gab Not in der Welt, und dann gab es noch Elend. In Zeiten, in denen sich sein Gewissen zu Wort meldete, stellte er die Belange der Welt über seine eigenen. Doch waren solche Augenblicke glücklicherweise selten - und er sagte sich, dass dieser hier keiner davon war.
»Ach, ist es doch immer der gleiche Traum, der diese vielzehigen Werkzeuge unter diesen wackligen Knien antreibt.« Er seufzte. »Immer der gleiche Traum.« Genauso war es. Vor sich sah er die Sonne auf der fernen Hügelkuppe reiten, eine kupferne, vom Rauch verschleierte Scheibe. Seine Füße trugen ihn die schmutzige, gewundene Straße der Gadrobi-Barackensiedlung entlang; links und rechts der Straße kauerten Schuppen und Hütten im Zwielicht. Alte Männer in den schmutzigen, gelben Lumpen von Leprakranken hockten an nahe gelegenen Kochfeuern; sie verstummten, als er vorbeiging. An einer schlammigen
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