Die Gärten des Mondes
Quelle standen Frauen in ähnlichen Kleidern; sie waren damit beschäftigt, Katzen immer wieder ins Wasser zu tauchen. Dem Mann, der jetzt an ihnen vorbeieilte, blieb die tiefere Bedeutung dieser verwirrenden Tätigkeit jedoch verborgen.
Er überquerte die Brücke über den Maiten, ging durch die immer weniger werdenden Lagerplätze der Gadrobi-Hirten, bis er auf die offene, von Weinbergen flankierte Straße hinausgelangte. Hier verweilte er kurz, dachte an den Wein, den die saftigen Trauben ergeben würden. Aber Träume besaßen einen ganz eigenen Schwung, und so blieb der Gedanke ein flüchtiger Gast.
Er wusste, dass sein Geist sich auf der Flucht befand. Er floh aus der zum Untergang verurteilten Stadt hinter ihm, floh vor dem dunklen, brütenden Fleck am Himmel über ihr; doch vor allem floh er vor all dem, was er wusste und was er war.
Bei einigen äußerte sich ihr Talent, indem sie Knöchelchen warfen, Hitzefrakturen in Schulterblattknochen deuteten oder das Fatid der Drachenkarten beschworen. Kruppe benötigte so etwas nicht. Die Macht der Vorahnung erfüllte seinen Kopf, und wie sehr er es auch versuchte, er konnte sie nicht leugnen. Das Klagelied prophetischen Wissens dröhnte geradezu in seinem Schädel, hallte durch seine Knochen.
»Dies ist natürlich ein Traum, die Flucht durch Schlaf«, murmelte er im Flüsterton. »Vielleicht glaubt Kruppe, er könnte dieses Mal wirklich entkommen. Kruppe ist schließlich kein Narr. Fett und faul ist er, und nachlässig, das schon, ja, und er neigt in der Tat zu Exzessen und stellt sich auch im Umgang mit einer Suppenschale recht tolpatschig an. Aber ein Narr - nein. Es gibt Zeiten, da muss der weise Mann eine Entscheidung treffen. Und ist es nicht weise, zu dem Schluss zu kommen, dass das Leben der anderen unwichtiger ist als das eigene? Doch, natürlich, das ist sehr weise. Ja, Kruppe ist schon weise.«
Er blieb stehen, um nach Luft zu schnappen. Die Hügel und die Sonne vor ihm schienen noch kein bisschen näher gerückt zu sein. So waren Träume nun einmal; wie das hastige Eilen ins Erwachsenenleben. Ein abschüssiger Weg, auf dem man niemals kehrtmachen kann - doch wer sprach von Jugend? Oder einer ganz bestimmten Jugend? »Der weise Kruppe bestimmt nicht. Sein Geist wandert -Kruppe entschuldigt den Scherz großmütig - gequält vom Elend seiner Fußsohlen, die müde sind, nein, die todmüde sind von seiner verwegenen Gangart. Es sind schon Blasen da, kein Zweifel. Der Fuß schreit nach einem Bad in warmer Seifenlauge. Sein Kamerad, der andere Fuß, stimmt ein. Oh! Welch eine Litanei! Welch verzweifeltes Gejammer! Hört auf, euch zu beklagen, liebe Schwingen der Flucht. Wie weit ist die Sonne noch entfernt? Gleich hinter den Hügeln muss sie sein, davon ist Kruppe fest überzeugt. Ganz bestimmt ist sie dahinter. Ja, das ist so sicher wie eine sich drehende Münze -aber wer hat hier von Münzen gesprochen? Kruppe verkündet laut und deutlich seine Unschuld!«
Eine Brise wehte in seinem Traum; sie kam von Norden und brachte den Geruch von Regen mit. Kruppe begann, seinen abgetragenen Mantel zuzuknöpfen. Er zog den Bauch ein, um auch noch die beiden letzten Knöpfe zu schließen, doch es gelang ihm nur bei einem. »Selbst im Schlaf«, stöhnte er, »spürt er die Folgen seiner Schuld.«
Er blinzelte gegen den Wind. »Regen? Aber das Jahr hat doch gerade erst angefangen! Regnet es denn im Frühling? Kruppe hat sich niemals zuvor mit solch gewöhnlichen Dingen befasst. Vielleicht ist dieser Geruch nichts anderes als der Atem des Sees. Ja, natürlich. Die Frage ist damit geklärt.« Er blinzelte zu den dunklen Wolken über dem Azur-See.
»Sollte Kruppe rennen? Aber nein, wo bleibt dann sein Stolz? Seine Würde? Kein einziges Mal haben sie in Kruppes Träumen ihre Gesichter enthüllt. Gibt es denn auf dieser Straße keinen Schutz? Oh, Kruppes Füße fühlen sich an, als wären sie wie Kornähren gedroschen worden, und seine Fußsohlen sind nichts als blutige Fleischfetzen! Aber was ist das?«
Ein Stück voraus war eine Kreuzung. Auf einer flachen Anhöhe direkt dahinter kauerte ein Gebäude. Kerzenlicht schimmerte durch die Fensterläden.
Kruppe lächelte. »Natürlich, ein Gasthaus. Weit war die Reise, groß ist der Wunsch des müden Wanderers nach einem Platz zum Ausruhen und Erholen. Für einen wie Kruppe, dem verhutzelten Abenteurer mit mehr als nur ein paar Längen hinter sich - ganz zu schweigen davon, welche Fülle er zu tragen hat.« Er eilte
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