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Die Gärten des Mondes

Die Gärten des Mondes

Titel: Die Gärten des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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großen Herrenhäuser, bis hin zum Gipfel des Majestätshügels, wo sich der Rat der Stadt versammelte, boten die Dächer von Darujhistan einen einzigartigen Anblick: eine Mischung aus Flächen, gewölbten Giebeln, kegelförmigen Türmen, Glockentürmen und Terrassen in solch chaotischer Hülle und Fülle, als sollten sämtliche Straßen - von den allergrößten einmal abgesehen - für immer vor der Sonne verborgen bleiben.
    Die Fackeln, die die häufiger benutzten Gassen kennzeichneten, bestanden aus hohlen Schäften, die in Fingern aus geschwärztem Eisen Bimssteine hielten. Durch alte, zerfressene Kupferrohre geleitet, fauchte Gas wie Feuerbälle um die porösen Steine herum, ungleichmäßige Flammen, die blau und grün loderten. Das Gas stammte aus großen Höhlen unter der Stadt, und gewaltige Röhren förderten es zu Tage. Die Aufsicht über diese Anlage war die Aufgabe der Graugesichter, schweigsamer Männer und Frauen, die sich wie Geister unter den gepflasterten Straßen der Stadt bewegten.
    Neunhundert Jahre lang hatte das fauchende Gas zumindest eines der vielen Stadtviertel versorgt. Obwohl die Rohre bei wütenden Mietshausbränden in Stücke gerissen worden waren und Flammenzungen hunderte von Fuß in den Himmel gelodert waren, hatten die Graugesichter ausgehalten, hatten den Flammen neue Fesseln aus Kupferrohr angelegt und den unsichtbaren Drachen in die Knie gezwungen.
    Die Welt unterhalb der Dächer war in einen ewigen blauen Schimmer getaucht. Dieses Licht war charakteristisch für die großen Straßen und die belebten, engen und krummen Durchgangswege der Märkte. Dennoch blieben in der Stadt mehr als zwanzigtausend Gassen - alle kaum breit genug für einen zweirädrigen Karren - im Schatten, wurden nur gelegentlich vom Schein der Fackel eines Bürgers oder den kugelförmigen Laternen der Stadtwache erhellt.
    Tagsüber lagen die Dächer ungeschützt im hellen, heißen Sonnenlicht, und die flatternden Fahnen des häuslichen Lebens trockneten im Seewind. Nachts erleuchteten Sterne und Mond eine Welt voller Netze aus leeren Wäscheleinen und den wirren Schatten, die sie warfen.
    In dieser Nacht wand sich eine Gestalt um Hanfseile herum und durch matte Schatten hindurch. Über ihr zerschlitzte die Mondsichel wie der Krummsäbel eines Gottes die dünnen Wolken. Die Gestalt trug rußgeschwärzte Kleidung, die sich eng an Körper und Gliedmaßen schmiegte, und ihr Gesicht war ähnlich getarnt; nur die Augen, die die nahe gelegenen Dächer musterten, waren freigeblieben. Kreuz und quer über die Brust der Gestalt verlief ein schwarzer Lederharnisch, in dessen vielen Taschen und engen, steifen Schlaufen die verschiedensten Werkzeuge steckten: Rollen aus Kupferdraht, eiserne Feilen, drei Metallsägen, jede einzeln in ein Stück geöltes Pergament gewickelt, Wurzelgummi, ein viereckiger Klumpen Talg, ein Knäuel Angelschnur; außerdem ein Dolch mit schmaler Klinge sowie ein Wurfmesser, die beide, das Heft nach vorn gerichtet, in Scheiden unter dem linken Arm der Gestalt steckten.
    Die Kappen der Mokassins waren in Pech getaucht worden. Als der Dieb das flache Dach überquerte, achtete er darauf, nicht sein ganzes Gewicht auf die Zehen zu verlagern, um den schmalen Streifen klebrigen Teers möglichst nicht zu beschädigen. Er erreichte den Rand des Dachs und schaute nach unten. Drei Stockwerke tiefer befand sich ein kleiner Garten; vier Gaslampen, die an den Ecken eines mit Steinplatten gefliesten Patios standen, der einen Brunnen umgab, beleuchteten ihn schwach. Ein purpurner Schimmer lag auf den Blättern, die in den Patio hineinwucherten, und glänzte auf dem Wasser, das über ein paar Steinstufen zu dem flachen Brunnenbecken hinunterrann. Auf einer Bank neben dem Brunnen saß ein Wachposten, einen Speer quer über den Knien. Er schlief, leicht nach hinten gelehnt.
    Das D'Arle-Herrenhaus war in den höheren Kreisen des Adels von Darujhistan wohl bekannt, was vor allem an der jüngsten Tochter der Familie lag, die sich im heiratsfähigen Alter befand. Die Freier waren in großer Zahl herbeigeströmt, und entsprechend zahlreich waren auch die Geschenke - von Juwelen bis hin zu Kleinkram -, die jetzt im Schlafzimmer des jungen Mädchens lagen.
    Während solche Geschichten in den höheren Kreisen wie süßes Backwerk die Runde machten, achtete das gewöhnliche Volk nur wenig darauf, wenn es denn überhaupt etwas davon mitbekam. Doch es gab auch jene, die diesen Erzählungen überaus sorgfältig lauschten; und

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