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Die galante Entführung

Die galante Entführung

Titel: Die galante Entführung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgette Heyer
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Zweifel, daß er sich gebessert hatte.
    Als Mrs. Grayshott zurückkam, nachdem sie Mrs. Ancrum an die Treppe gebracht hatte, setzte sie sich neben Abby und sagte leise: »Ich hatte vor, es dir zu erzählen. Ich konnte sehen, daß du völlig überrascht warst.«
    »Ja, aber es macht nichts«, versicherte Abby.
    Mrs. Grayshott sah so aus, als wollte sie mehr sagen, aber ihre Aufmerksamkeit wurde von Lady Weaversham in Anspruch genommen. Eine weitere Gelegenheit zu einem vertraulichen Gespräch bot sich nicht, denn kurze Zeit später schuf das Eintreffen der Tochter des Hauses in Begleitung von Miss Fanny Wendover wieder eine Ablenkung.
    Die beiden Mädchen kamen noch immer strahlend vor Lachen über irgendeinen heimlichen Spaß herein und boten ein bezauberndes Bild: Lavinia, eine hübsche Brünette mit unschuldigen braunen Augen und einem schüchternen Lächeln, gab Fanny einen vortrefflichen Hintergrund ab. Göttlich blond, die schönen Züge von einem Schäferhütchen mit Bändern, die blau wie ihre Augen waren, eingerahmt, schlug Fanny sofort bei zumindest einem der Versammelten ein: dem jungen Mr. Grayshott, der wie angewurzelt stehenblieb und sie sichtlich verzaubert ansah, bis er von seiner Mutter in die Wirklichkeit zurückgerufen wurde. Er fuhr leicht zusammen, errötete tief und begrüßte Fanny.
    Abby beobachtete es ohne Überraschung; es kam selten vor, daß Fanny keine Bewunderung erregte, und heute sah sie besonders hübsch aus. Instinktiv blickte Abby zu Mr. Calverleigh und fragte sich, wie er von der Ähnlichkeit des Mädchens mit seiner Mutter berührt wurde, die so stark war, daß sie ihm einen schmerzlichen Stich der Erinnerung versetzen mußte. Falls dies der Fall war, dann ließ er es nicht merken. Er betrachtete Fanny kritisch; und als Mrs. Grayshott sie bekannt machte, stockte Abby das Herz, als er Fannys Hand nahm und sagte: » How do you do? Sie also sind Celia Morvals Tochter! Ich bin entzückt, Sie kennenzulernen. Ich habe Ihre Mutter sehr gut gekannt.«

5
    Einen gräßlichen Augenblick lang war Abby krank vor Angst, was er wohl als nächstes sagen würde. Gerade dann jedoch, als sie seinen Blick auffing, der dem ihren, verzweifelt flehenden, begegnete, erkannte sie, daß er sich nur auf ihre Kosten amüsierte und spitzbübisch ihr Unbehagen genoß. Ihrer Angst folgte Wut, aber keine echt empfundene Wut, denn in dem über Fannys Kopf hinweg an sie gerichteten Lächeln lag Entschuldigung ebenso wie Spott und eine entwaffnende Andeutung von Kameradschaft. Mr. Miles Calverleigh schien zu glauben, daß er in Miss Abigail Wendover einen verwandten Geist entdeckt habe.
    Fanny blickte in ihrer ungekünstelten Art zu ihm auf und rief: »Oh, Sie haben meine Mutter gekannt? Ich nie – das heißt, ich erinnere mich nicht an sie.« Sie zögerte und fragte dann schüchtern: »Sind Sie Mr. Stacy Calverleighs Onkel? Er ist ein besonders guter Freund von mir.«
    Wenn irgend etwas Miles Calverleigh überzeugen konnte, dachte Abby, daß Fanny ein Lämmchen war, das vor streunenden Wölfen behütet werden mußte, dann war es die Naivität dieser Bemerkung. Abby hoffte es, war dessen aber nicht sicher. Sein Ausdruck war der eines Mannes, der mit leicht gelangweilter Duldsamkeit dem Geplapper eines Kindes zuhört. Er sagte: »Dann werden Sie ja imstande sein, mich ihm vorzustellen, nicht?«
    Aus dem überraschten Blick Fannys war zu ersehen, daß ihr Mr. Stacy Calverleigh nichts von seinem ruchlosen Onkel erzählt hatte – eine Unterlassung, um derentwillen Stacy, entschied Abby, als sie die Sache leidenschaftlich überlegte, wohl kaum getadelt werden konnte. Fanny sagte fast lachend: »Oh -! Sie halten mich zum besten, nicht wahr? Habe ich etwas Gänschenhaftes gesagt? Natürlich kennen Sie doch Stacy viel besser als ich!«
    »Im Gegenteil, ich kenne ihn überhaupt nicht – ich würde ihn nicht erkennen, wenn er jetzt hereinkäme. Als ich England verließ, muß er noch am Gängelband gelaufen sein.«
    »Ach ja, jetzt verstehe ich!« sagte Fanny, und ihr verblüfftes Stirnrunzeln verschwand.
    »Nun, ich wage zu behaupten, daß Sie nicht von ihm enttäuscht sein werden«, warf Lady Weaversham ein. »Wenn ich auch nicht behaupte, daß Sie ihn nicht irrtümlich für einen Bond-Street-Stutzer halten könnten. Mir ging es nämlich ebenso, bis ich entdeckte, daß er das keineswegs ist. Er ist gar nicht blasiert, und was mehr zählt, es hat ihm nicht den Kopf verdreht. Das hätte leicht geschehen können, wenn man

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