Die galante Entführung
sie besser als eine bloß altjüngferliche Tante wußte, wie man ein Mädchen in den Klauen seiner ersten Liebe zu behandeln hatte. Jedenfalls konnte es nicht schaden, sie zu befragen, denn Abby vermutete, daß das Mrs. Grayshott Anvertraute sicher bei ihr ruhte. Und sie hatte das Gefühl, daß sie just so jemanden brauchte.
Also sagte sie Fanny, sie würde sie an diesem Morgen an Stelle von Mrs. Grimston zum Queen’s Square begleiten und sich, während Fanny unter der Leitung der Miss Timble mit italienischer Grammatik rang, mit einigen nötigen Einkäufen befassen. Danach, sagte sie, würde sie Mrs. Grayshott besuchen und bei ihr bleiben, bis Fanny und Miss Lavinia Grayshott, von ihrem Italienischunterricht erlöst, einander durchaus anstandsgemäß zu den Edgar Buildings begleiten konnten.
Diesen Vorschlag begrüßte Fanny begeistert: »Oh, großartig! Dann kann ich mir in der Milsom Street auch gleich ein neues Paar Seidenstrümpfe besorgen. Ich wollte es schon tun, als du weg warst, aber Tante Selina fühlte sich zu elend, um einkaufen zu gehen, und mit Nurse gehe ich unter keinen Umständen je wieder einkaufen! Du weißt doch, wie sie ist, Abby! Wenn sie nicht gerade sagt, daß genau das, was man haben will, unpassend sei – als wäre man noch immer ein Schulmädchen –, versinkt man in die Erde vor Verlegenheit, weil sie behauptet, es sei viel zu teuer, und sie wüßte, wo man es um den halben Preis bekommt!«
Die Edgar Buildings in der George Street lagen in dem mondänen Teil der Stadt, der sich von dem oberen Ende der Milsom Street zu den exklusiven Höhen des Upper Camden Place erstreckte. Da Mr. Leonard Balking keine passende Unterkunft für seine Schwester in dem ebenso exklusiven Viertel finden konnte, das jenseits der Brücke lag und in dem sich Laura Place, die Great Pultney Street und Sydney Place befanden, hätte er, wenn es nur auf ihn selbst angekommen wäre, Mrs. Grayshott hier vornehm untergebracht und für sie sogar ein imposantes Haus gemietet. Bei all seiner tiefen Zuneigung zu ihr war er jedoch auch sehr vernünftig und sah ein, daß ein großes Haus für sie nur eine Belastung und der zum Camden Place aufwärtsführende, lange Weg durchaus nicht das Richtige für einen kränklichen Menschen gewesen wäre. Er hatte sie daher in den Edgar Buildings untergebracht, von wo aus sie sämtliche der besten Läden besuchen und ohne sich zu erschöpfen zur Trinkhalle und den Privatbädern in der Stall Street gehen konnte. Nachdem er kurzerhand eine Reihe von Wohnungen als dürftig abtat, hatte er wirklich das Glück, eine im ersten Stockwerk gelegene Suite zu finden, die er als erträglich und jedermann sonst als sehr schön bezeichnete. Fast alle Unterkünfte in Bath wurden als Zimmerfluchten vermietet, und im besten Teil der Stadt bestanden diese allgemein aus etwa vier bis fünf Zimmern. Leute, die nur zwei Zimmer wollten, mußten sie entweder in einem nicht mondänen Viertel suchen oder alle Nachteile einer der zahlreichen Pensionen von Bath ertragen. Mr. Grayshotts Wohnung war eine der bequemsten, die zu haben waren, so daß sie je ein Schlafzimmer für sich, ihre Tochter, ihre Zofe und einen gelegentlichen Besucher hatte, und außer einem geräumigen Salon war auch ein kleines Speisezimmer vorhanden. Mrs. Grayshott, die ihrem Bruder eindringlich versicherte, sie und Lavinia fühlten sich auch in einer bescheideneren Unterkunft völlig behaglich, wurde zum Schweigen gebracht, indem er einfach sagte: »Du verletzt mich sehr, wenn du in diesem Sinn sprichst, meine Liebe. Du und deine Kinder sind alles, was ich an Familie habe, und sicherlich darf ich doch wohl für euch einstehen?«
Daher ließ es Mrs. Grayshott, deren finanzielle Verhältnisse beengt waren, zu, daß sie in einer Wohnung untergebracht wurde, um die sie viele Bekannte beneideten. Da sie kein Geheimnis daraus machte, daß sie ihren scheinbaren Reichtum der Großzügigkeit ihres Bruders verdankte, sagten nur so böswillige Menschen wie Mrs. Ruscombe, es erscheine doch seltsam, daß eine arme Witwe imstande sei, auf so großem Fuß zu leben.
Miss Abigail Wendover, von dem sehr hochnäsigen Hauswart eingelassen, wurde informiert, daß Mrs. Grayshott daheim sei. Sie wollte eben die Treppe hinaufsteigen, als er mit triumphierender Miene hinzufügte: »Und Mr. Oliver Grayshott ebenfalls, Ma’am! Gestern angekommen! Mich hat es fast umgeschmissen, und was Madam betrifft, so ist es ein Wunder, daß sie keine Krämpfe bekam! Aber es
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