Die galante Entführung
in England.« Er sah dabei Abby an, die er bösartig aufzog. »Nicht nötig, so empört dreinzusehen, Miss Abigail: ich habe nicht vor, sie wiederzuerzählen! Sprechen wir doch lieber über die Annehmlichkeiten von Bath. Haben Sie vor, heute abend das Konzert zu besuchen?«
Einen gefährlichen Augenblick lang lag ihr auf der Zunge, jede Absicht eines Konzertbesuchs zu leugnen. Sie erinnerte sich jedoch noch rechtzeitig, daß sie versprochen hatte, mit einer ausgewählten Gesellschaft von Freunden hinzugehen, und das hielt sie zurück. Sie antwortete mit einem glitzernden Lächeln: »Ja, natürlich! Signora Nerli wird doch singen – ein hoher Genuß für die Musikliebenden unter uns. Für Sie freilich wäre es bestimmt todlangweilig, denn ich glaube, Sie lieben Musik nicht?«
»Im Gegenteil – ich finde sie wunderbar einschläf – wunderbar beruhigend!«
Ein Lächeln zitterte in ihren Mundwinkeln. »Ich zweifle, ob Sie die Bänke wunderbar einschläfberuhigend finden würden, Sir!«
»Bravo, die Karte hat gestochen!« sagte er anerkennend. Sie kicherte und wurde dann rot, als sie das Gesicht ihrer Schwester sah.
In diesem Augenblick kam, sehr zu Abbys Erleichterung, Fanny herein. Sie begrüßte Mr. Calverleigh mit ungezwungener Freude, genauso wie sie jeden anderen älteren Verehrer ihrer Tante begrüßt hätte. Abby Beobachtete es mit einigem Vergnügen und fragte sich, wie sehr Mr. Calverleigh die Spur anmutiger Ehrerbietung gefiel, die seinen vorgeschrittenen Jahren Tribut zollte. Sie mußte zugeben, daß er sie mit unerschütterlicher Fassung trug und in einer Art beantwortete, die entschieden onkelhaft war. Er hielt sich nicht lange auf, ein Umstand, der Selina, nachdem er gegangen war, zu sagen veranlaßte, seine Manieren seien zwar sehr seltsam, was zweifellos darauf zurückzuführen war, daß er in Indien gelebt hatte. Er wisse jedoch sehr gut, daß man bei einem förmlichen Besuch nicht länger als eine halbe Stunde bleibe.
»Ich habe dich davor gewarnt, daß seine Manieren jammervoll sind!« sagte Abby. »Ich glaube, er hat nicht die geringste Ahnung von Förmlichkeit.«
»Sicher ist es durchaus nicht das richtige, uns in Reithosen und Reitstiefeln zu besuchen – zumindest dürfen das die Herren auf dem Lande, nicht aber in Bath, unberitten. Es wäre auch korrekter gewesen, wenn er bloß seine Visitenkarte abgegeben hätte – aber ich habe nichts an seinen Manieren bemerkt, das mich genaugenommen abgestoßen hätte. Er war zwar sehr leger, aber überhaupt nicht ordinär. Ja, er hat sogar etwas Wohlerzogenes an sich, und es wäre sehr ungerecht, ihm wegen seines Teints einen Vorwurf zu machen, dem Armen. Du kannst dich darauf verlassen, daß das Indien war. Ich halte es von seinem Vater für äußerst gefühllos, daß er ihn dorthin geschickt hat – gleichgültig, was er angestellt hat.«
»Aber hat er denn irgend etwas Schlimmes getan?« rief Fanny aus, die Augen rund vor Überraschung.
»Nein, Liebes, bestimmt nicht!« sagte Selina schnell.
»Aber du hast gesagt – «
»Mein Liebes, ich habe nichts dergleichen gesagt. Wie du das gleich auffaßt! Das gehört sich ganz und gar nicht! Und das erinnert mich an etwas: Abby, ich habe nie geglaubt, daß du mich wegen eines Mangels an Benehmen erröten läßt! Ich muß schon sagen, ich war wirklich entsetzt – so verdrießlich und unhöflich von dir! Und dann, nachdem du dich viel zu sehr aufgespielt hast – abgesehen davon, daß du ihn in der rüdesten Art zurechtgewiesen hast –, lachtest du ihm noch ins Gesicht! Als würdest du ihn schon seit Jahren kennen!«
»Guter Gott, warum hat mir nie jemand gesagt, daß ich über etwas, das ein Mann sagt, erst lachen darf, bis ich ihn jahrelang gekannt habe?« entgegnete Abby.
Noch bevor Selina ihrer auftauchenden Gedanken Herr wurde, sagte Fanny plötzlich: »Ja, aber man muß lachen! Ich meine, man hat das Gefühl, als müßte man lachen! Mir persönlich liegt kein Deut daran, daß er schäbig angezogen ist und keine förmlichen Manieren hat. Mir gefällt er! Ich hätte geglaubt, dir auch, Abby, weil er genauso ein Spaßmacher ist wie du. Magst du ihn denn nicht?«
»Ich muß schon sagen«, warf Selina ein, »daß er sehr unterhaltsam war. Und wenn er lächelt – «
»Das Lächeln des Mr. Calverleigh muß als sein größter – wenn nicht einziger – Vorzug zählen!« sagte Abby schroff. »Und ob ich ihn mag oder nicht – wie kann ich das jetzt schon sagen? Ich kenne ihn doch kaum,
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