Die galante Entführung
dafür sah, daß er nicht so schwarz sein konnte, wie man ihn gemalt hatte. Nachdem Abby entschieden hatte, daß es ebenso gefährlich wie unfreundlich wäre, ihr die Geschichte von Miles Calverleigh und Celia Morval zu enthüllen, war sie froh, daß ihr forschende Fragen über die Umstände erspart blieben, unter denen es Miles gelungen war, mit einem Mädchen näher bekannt zu werden, das schon zwei Monate nach seinem Debüt verheiratet war und nachher in einem Herrenhaus in Bedforshire gelebt hatte.
Abby zog sich gleich darauf in ihr Schlafzimmer zurück, mit der innigen Hoffnung, daß Mr. Calverleigh Bath verlassen haben würde, bevor Selina aus ihrer selbstauferlegten Abgeschiedenheit auftauchte.
6
Am folgenden Tag jedoch sprach Mr. Miles Calverleigh am Sydney Place vor. Mitton, der in ihm jenen Herrn erkannte, der Miss Abby am Nachmittag des Vortages heimbegleitet hatte, ließ ihn ohne Zögern ein und führte ihn in den Salon hinauf, wo Abby nach den Anweisungen ihrer Schwester damit beschäftigt war, Einladungskarten zu ihrer geplanten Abendgesellschaft zu adressieren. Sie war auf den Besuch nicht vorbereitet und zuckte derart zusammen, daß die Feder spritzte. Als sie sich schnell und fast ungläubig umdrehte, traf sie auf ein höchst ausdrucksloses Lächeln und eine ganz leichte Verbeugung, bevor Mr. Calverleigh auf ihre Schwester zuging. Das Rätsel, welche Ausrede er für seinen Besuch hatte, wurde unverzüglich gelöst. Mr. Calverleigh erzählte Selina, als er ihre zitternd ausgestreckte Hand ergriff und beruhigend in ihr erregtes Gesicht hinunterlächelte, er habe ihren ältesten Bruder gekannt und sehe sich außerstande, dem Drang zu widerstehen, seine Bekanntschaft mit Rowlands Familie zu erweitern. »Zwei seiner Angehörigen kennenzulernen, hatte ich gestern das Vergnügen«, sagte er und nickte mit freundlicher Formlosigkeit Abby zu. » How do you do, Miss Abigail? « Sie nahm diese Begrüßung in frostiger Weise zur Kenntnis. Weit davon entfernt, eingeschüchtert zu sein, lachte er und sagte: »Immer noch böse auf mich? Ich muß Ihnen erzählen, Ma’am, daß Ihre Schwester wütend war, weil ich sie heimbegleitete. Aber zu meiner Zeit war es durchaus nicht das richtige für Mädchen ihres Standes, zu Fuß allein auszugehen.«
Selina, bereits von dem Stil und der Art ihres unerwarteten Besuchers verwirrt, verlor sich in einem Durcheinander von Sätzen. Zwar teilte sie einerseits sein altmodisches Vorurteil, wußte andererseits jedoch sehr gut, daß sie, wenn sie ihm zustimmte, sich Abbys Wut zuziehen würde. Nachdem sie sich also in eine Flut unbeendeter Sätze gestürzt hatte, bat sie ihn, sich zu setzen, und fragte ihn, wo er ihren Bruder kennengelernt habe. Abby hielt den Atem an, er gab jedoch eine unbestimmte Antwort, und sie atmete wieder weiter. »Und Sie kannten auch meine Schwägerin!« fuhr Selina fort. »Es erscheint so seltsam, daß ich nie – nicht daß ich natürlich alle ihre Freunde gekannt hätte, aber ich dachte – das heißt – lieber Himmel, wie dumm! Ich habe vergessen, was ich sagen wollte!«
Er nahm ihre Verwirrung mit einem Zwinkern zur Kenntnis. »Nein, nein, weichen Sie der Sache nicht aus! Sie dachten, man habe mich nach Indien verfrachtet, bevor Ihr Bruder verheiratet war, und Sie haben vollkommen recht damit. Ich kannte Celia, als sie noch Miss Morval war.«
»Das ist lange her«, sagte Abby. »Viel zu lange für mich, fürchte ich – sehen Sie, ich habe sie nicht gekannt.«
Die unverkennbare Langeweile in ihrer Stimme entsetzte Selina, so daß sie ein protestierendes »Aber Abby, meine Liebe -!« hervorstieß.
Abby zuckte mißmutig die Schultern. »Nun, es ist so langweilig, wenn von alten Zeiten die Rede ist, in denen man selbst keine Rolle gespielt hat! Und noch dazu Anekdoten! Diesbezüglich habe ich schon von General Exford übergenug. Ich wollte, Sie erzählten uns lieber von Ihren Erlebnissen in Indien, Mr. Calverleigh!«
»Aber das hieße ja nur eine Form der Anekdoten für eine andere tauschen«, erklärte er. »Und wäre viel langweiliger, versichere ich Ihnen!«
»O nein. Ich bin überzeugt – soo interessant! Alle diese Marathen und so!« sagte Selina verwirrt, entsetzt über das Benehmen ihrer Schwester. »Nicht daß ich selbst dort gern leben möchte – und das Klima weit davon entfernt, gesund zu sein – nun, man denke nur an den armen jungen Mr. Grayshott! Aber bestimmt hatten Sie viele aufregende Abenteuer!«
»Lange nicht so viele wie
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