Die galante Entführung
Situation zu suchen. Nun, er würde Zeit genug haben, sich zu überlegen, wie er sich mit dieser Schwierigkeit auseinandersetzen sollte, wenn sie auftauchte. Das war immer seine Regel gewesen und hatte im großen und ganzen recht gut funktioniert. Bis dahin jedoch war das erste und dringendste Anliegen, die Verhältnisse der Mrs. Clapham genauer zu erforschen.
Von seinem Fenster aus konnte er ihre Heimkehr in den Weißen Hirschen beobachten; und so traf es sich, daß er, gerade als sie die Treppe emporzusteigen begann, im ersten Stock um die Ecke bog und leichtfüßig die Treppe hinunterlief. Bei ihrem Anblick blieb er stehen und zog sich mit erschrockener Entschuldigung auf den ersten Treppenabsatz zurück.
»O bitte, nicht – aber das sind ja Sie, Mr. Calverleigh!« rief sie aus. »Erzählen Sie mir jetzt bloß nicht, daß auch Sie hier abgestiegen sind!«
Er lachte. »Darf ich nicht? Ich fürchte, doch! Es täte mir leid, wenn Sie etwas dagegen hätten, aber ich war nämlich schon vor Ihnen da. Was sollen wir da tun?«
Sie brach in trillerndes Gelächter aus. »Als hätte ich etwas so Unhöfliches gemeint! Sie ziehen mich auf! Nein, wirklich, ich freue mich, daß Sie ebenfalls hier wohnen, denn ich habe keine anderen Bekannten in Bath. Ich habe erst vor wenigen Minuten Mrs. Winkworth gesagt, wie sehr ich wünschte, ich kennte jemanden hier, der mir sagen könnte, wie ich mich zurechtfinde oder wohin ich gehen soll, um einen Regenschirm zu kaufen, den ich, wie ich sehe, brauchen werde.«
»Wie – Sie sind ohne Regenschirm nach Bath gekommen? Oh, das geht nicht! Natürlich führe ich Sie zu dem nächstgelegenen Laden, wo Sie einen erstehen können. Außerdem werden Sie, wie ich vermute, auch Ihren Namen in das Abonnementbuch des Mr. King schreiben wollen.«
»Tut man das? Sie halten mich bestimmt für eine richtige Provinzlerin, aber ich verstehe nicht ganz: wer – wer ist Mr. King?«
»Der Zeremonienmeister im Kursalon – den Neuen oder auch Oberen Räumen, wie sie oft genannt werden. Man hält dort Bälle und Konzerte und Kartenpartien ab.«
»Bälle! O nein, ich glaube nicht, daß ich das darf! Noch nicht. Sehen Sie, es ist noch nicht ganz ein Jahr her, daß Mr. Clapham starb, und obwohl ich die tiefe Trauer abgelegt habe, weil er Schwarz nie an mir mochte, so möchte ich wirklich keine Mißachtung an den Tag legen. Es wäre sicher nicht schicklich, wenn ich schon Bälle besuchte. Nicht daß ich nicht Abonneruin werden will, wenn es das Richtige ist, denn das hätte Mr. Clapham auch gewünscht; er benahm sich nie schäbig, selbst wenn man nichts dafür bekam, wenn man Moneten auf den Tisch legte! Also müssen Sie mir erzählen – o Himmel, es gibt doch so vieles, was ich wissen will!« Sie schwieg und sagte dann schüchtern: »Ob Sie wohl – ob Sie wohl mit uns in meinem Privatsalon Tee trinken möchten? Wir würden uns sehr freuen – nicht wahr, Mrs. Winkworth?« Es schien ihr etwas einzufallen; sie fügte hinzu: »Falls Sie natürlich – nein, das meine ich nicht. Ich meine – ich meine, Sie haben vielleicht etwas mit Ihrer eigenen Gesellschaft vor? Oder – falls Sie zufällig verheiratet sein sollten, dann hätten wir natürlich die Ehre, auch Mrs. Calverleigh zu empfangen!«
»Nein, ich bin nicht verheiratet«, antwortete er. »Ich werde entzückt sein, mit Ihnen Tee trinken zu dürfen, Ma’am!«
Sie strahlte und sagte: »Dann also kommen Sie, wann immer es Ihnen paßt. Heute abend?«
Viel zu schlau, um sofort eine Einladung freudig anzunehmen, entschuldigte er sich, ließ sich jedoch nach einigem Zögern von ihr überreden, am folgenden Abend zu kommen. Er bildete sich ein, ein gewisses Maß an Billigung in Mrs. Winkworths Ausdruck zu lesen, und empfahl sich von beiden Damen mit dem Gefühl, daß sein neues Wagnis einen vielversprechenden Anfang genommen hatte.
Der Teebesuch war sehr erfolgreich. Stacy traf Mrs. Clapham neben einem kleinen Kamin sitzend an, graugekleidet, mit keinem anderen Schmuck als ihren Perlen und einem einzigen schönen Diamantring, der seinem Gefühl nach mit sentimentalen Erinnerungen verbunden war, da sie ihn von Zeit zu Zeit sehnsüchtig liebevoll ansah.
Es war gar nicht schwer, sie auszuholen, denn sie neigte zum Plaudern und war mitteilungsbedürftig. Zwar lief ihre Zunge wie geölt, dennoch konnte er verschiedene wichtige Aufschlüsse aus dem Häcksel ihres Gesprächs entnehmen. Er erfuhr, daß sie fast ihr ganzes Leben lang in Birmingham gelebt hatte,
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