Die Galerie der Lügen
will, hat sie etwas Religiöses.«
»Sagst du.«
»Ist dir schon einmal aufgefallen, wie man mit den Fossilien umgeht, die angeblich unseren Ursprung von den Primaten beweisen? Sie werden genauso behandelt und ausgestellt wie die Reliquien in Kirchen und Tempeln. Und man spricht ihnen dieselben Wunderkräfte zu.«
Darwin zeigte mit der Gabel auf sein Gegenüber . »Jetzt übertreibst du aber.«
»Ich habe das nicht wörtlich gemeint, sondern im übertragenen Sinn. Unser großer Anatom Solly Lord Zuckerman – übrigens ein Evolutionist – hat einmal gesagt, in der physischen Anthropologie gehe es zu wie in der Parapsychologie.«
»Inwiefern?«
»Im Hinblick auf die mangelnde Professionalität vieler Anthropologen. Er war der Ansicht, sie ließen sich zu sehr von ihren Erwartungen leiten. Zuckerman stellte eine große Vielfalt unter den Affenfossilien fest – was unter der Voraussetzung einer hohen genetischen Variabilität früher Lebensformen auch nicht verwunderlich ist. Deshalb warnte er vor der trügerischen Wirkung des Wunsches, unbedingt Vorfahren finden zu wollen. So eine Voreingenommenheit könne allzu leicht dazu führen, dass einige Affenmerkmale in den › Vorfahren-Status ‹ erhoben werden. Er forderte, alle solche Funde einer objektiven Prüfung zu unterziehen und sie zu verwerfen, wenn die Analyse entweder negative oder keine schlüssigen Beweise liefere.«
»Und?«
»Die Kollegen, die am meisten zu verlieren hatten, beschimpften ihn am heftigsten als Neider.«
»Vielleicht hatten sie Recht.«
»Zuckerman ist einer der einflussreichsten Forscher Großbritanniens, ein führender Primaten-Experte und ein wissenschaftlicher Materialist. Er hält die Evolution des Menschen für selbstverständlich. Gleichzeitig ist er aber ehrlich genug, den Großteil des fossilen Beweismaterials in Zweifel zu ziehen. Er hat jahrelang komplizierte biometrische Untersuchungen an den Australopithecinen durchgeführt – angeblich unsere nahen Verwandten, wie du wissen magst. Dabei stellte er fest, dass die anatomische Basis für die Behauptung, sie seien Zweibeiner gewesen und wie Menschen aufrecht gegangen, unzureichend ist. Die Befunde sprächen eher für eine weniger elegante Fortbewegung, wie wir sie auch von anderen Primaten kennen.«
»Du meinst von Rhesusaffen?«
»Vom Prinzip her schon. In den letzten Jahren haben sich jedenfalls die Indizien gehäuft, dass unser angeblicher Vorfahr mehr oder weniger oft auf Bäumen herumkletterte. Wer natürlich händeringend nach einem Urahn des Menschen fahndet, für den schmecken solche Deutungen bitter. Deshalb verbirgt man die gewichtigeren Fakten unter dem Zuckerguss von Daten, die für Fehlinterpretationen geradezu prädestiniert sind.«
»Aber es ist doch eine Tatsache, dass die DNA des Schimpansen zu neunundneunzig Prozent mit der unsrigen identisch ist.«
»Das ist kein Fakt, sondern eine wissenschaftliche Legende. Früher hieß es sogar, der Unterschied betrüge null Prozent, wenn man auf die mitochondriale Ebene geht. Mitochondrien sind so was wie die Kraftwerke der Zellen. Sie dienen der Energiegewinnung und verfügen über eine eigene DNA. Als man letztere durchsequenziert, also in ihre Basenfolge zerlegt hat, fand man plötzlich fast neun Prozent Unterschiede! Liest du The Scientist oder Nature? «
»Weniger.«
»Schade. Dann hättest du schon vor drei Jahren erfahren können, wie’s wirklich um die große Ähnlichkeit bestellt ist.«
»Ich wette, du kannst mich aufklären.«
»Ein wissenschaftliches Konsortium hatte das Chromosom zweiundzwanzig der Schimpansen untersucht; es ist das Gegenstück zu unserer Nummer einundzwanzig. Wie dir bekannt sein mag, sind am Aufbau der Chromosomen, vor allem jedoch an zahlreichen Funktionen im tierischen und menschlichen Körper Proteine beteiligt. Diese Eiweißstoffe sind, wie die Forscher des International Chimpanzee Chromosome 22 Consortium herausgefunden haben, zu dreiundachtzig Prozent unterschiedlich.«
»Dreiundachtzig gegenüber ein Prozent? Wie kommt diese Diskrepanz zustande?«
»Der Grad der Unterschiedlichkeit lag immer schon bei über einem bis etwa fünf Prozent. Aber bisher hatten die Forscher sich ganz auf die Abfolge der Nukleotide, der Basen der DNA, konzentriert. Das besagte Konsortium hatte jetzt auch die etwa achtundsechzigtausend genetischen Unterschiede berücksichtigt, die man mit mutationsbedingten Einfügungen oder Löschungen im Genom begründet.«
»Und das reißt einen so
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