Die Galerie der Lügen
demselben Niveau ging es bei den vier Weinen weiter, die er seinem Gast zur Auswahl anbot. Alex entschied sich für einen 1995er Del Bosco aus dem italienischen Montalcino, und Theo schloss sich an. Als wäre er ein Ober in einem Spitzenrestaurant, ließ er seinen Gast den tief purpurroten Wein kosten. Erst nach dessen Goutierung schenkte er Alex und anschließend sich selbst ein. Hiernach deutete er auf die silberne Platte, die er zuletzt vom Servierwagen genommen hatte.
»Nur ein paar Kanapees und andere kleine Leckereien. Greif zu.«
Alex war nicht nach Essen zumute. Eigentlich hatte sie nach dem Dinner mit Darwin auch schon mehr Alkohol im Blut, als sie sich normalerweise zugestand, in ihrer Nervosität griff sie aber trotzdem nach dem Weinglas. Theo tat es ihr nach und fühlte sich berufen, aus der Verlegenheitsgeste ein Ritual zu machen.
»Auf die Familienzusammenführung. Auf dich und mich. Auf unseren Plan, in den Köpfen der Menschen eine neue Welt erstehen zu lassen.«
Es kostete Alex große Mühe, ihre Hand unter Kontrolle zu halten, als sie ihr Glas gegen das von Theo dargebotene stieß. Rasch nahm sie einen tiefen Schluck. Der süßfruchtige Duft von Pflaume, Vanille, Feige und Schokolade stieg ihr in die Nase. Augenblicklich schien der kräftige Brunello seine Wirkung zu entfalten.
Sie wurde ruhiger, schöpfte tief Atem und sagte: »Jetzt keine Ausflüchte mehr, Theo. Was hat es mit den Statuetten in den Nischen da auf sich?« Sie machte eine umfassende Geste.
Theo griff nach einem Kanapee mit Ei und Kaviar. »Wie ich schon sagte: Es ist meine Familie… unsere, um genau zu sein.« Er biss von dem belegten Weißbrot ab.
»Das ist unmöglich. Es hat beim Menschen noch nie eine Mehrlingsgeburt gegeben, bei der so viele…«
»Wir sind auch nicht das Produkt einer normalen Schwangerschaft«, fiel Theo ihr ruhig ins Wort und lutschte ein Kaviarkügelchen von seinem Daumen ab.
»Das habe ich mir schon gedacht. Aber selbst wenn nach einer In-vitro-Fertilisation eine Mehrlingsspaltung auftritt…«
»Alex«, unterbrach Theo sie abermals, »vergiss einmal, was du bisher über Mehrlinge und künstliche Befruchtung zu wissen glaubtest. Wir sind etwas, das es eigentlich nicht geben dürfte, gesetzlich nicht und auch nicht technisch.«
Eine furchtbare Ahnung kroch aus dem dunkelsten Winkel ihres Geistes empor. Seit Alex von den genetischen Fingerabdrücken wusste, die sie, Terri Lovecraft und die Leiche aus dem Louvre praktisch zu Geschwistern gemacht hatten, hockte dieses Ungeheuer schon dort, hatte sich aber bisher nicht ans Licht ihres Bewusstseins gewagt. Jetzt aber brach es hervor.
»D-du willst mir doch nicht allen Ernstes einreden… wir seien Klone? «
Theo erwiderte ihren fassungslosen Blick mit einem schmerzvollen Ausdruck. Er schien über seine Antwort lange nachzudenken, die am Ende sehr kurz ausfiel.
»Doch, Alex. Genau das.«
Sie schüttelte ungläubig den Kopf. »Aber das ist unmöglich. Liest du keine Fachzeitschriften? Bei Dolly hat man fast zweihundertachtzig Zellfusionen durchführen müssen, um eine erfolgreiche Schwangerschaft zu erzielen. Abgesehen von Rindern liegt die Erfolgsquote selten höher als ein Prozent. Selbst wenn es in Korea, China und den USA schon gelungen ist, die Erbsubstanz aus einer menschlichen Körperzelle in eine entkernte Eizelle zu übertragen, haben sich Embryonen kaum über das Achtzell -Sta dium hinaus entwickelt. Und du willst mir glaubhaft machen, vor fünfundzwanzig Jahren sollen gleich mehrere Klone erfolgreich hergestellt worden sein?«
Theo hatte inzwischen auch die zweite Hälfte seines Kanapees in den Mund geschoben, sodass er nun unbehindert die Hände ausbreiten konnte. »Es ist keine Frage des Glaubens, Alex. Man hat in einem schottischen Labor den Zellkern unseres genetischen Vaters in eine Eizelle transferiert und diese durch elektrische Stimulation zur Vermehrung angeregt. Anschließend wurden die Embryos in Einzelzellen oder Zellhaufen zerlegt. Das ist eine Tatsache, und wir sind der lebende Beweis.«
»Künstliche Mehrlingsspaltung beim Menschen gibt es nicht«, widersprach Alex.
»Für jemanden, der seit Jahren den Starrsinn von Wissenschaftlern anprangert, hörst du dich ganz schön dogmatisch an, Schwester. Wenn die Natur es schaffen kann, eineiige Zwillinge hervorzubringen, lässt sich wohl nicht völlig ausschließen, dass auch Forscher ein entsprechendes Verfahren entwickeln können. Irgendwie muss es unseren Laborvätern
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