Die Galerie der Lügen
Kannst du dir das vorstellen?«
»Ist die Frage ernst gemeint?«
»Nein. Mir ist klar, du hast mich vor all dem gewarnt, aber Theorie und Wirklichkeit sind trotzdem zweierlei Paar Schuhe.«
»Vermutlich bist du in den letzten Tagen nicht dazu gekommen, im Internet zu surfen. Mittlerweile misstraut man uns in ganz Europa. Allerdings habe ich ein ermutigendes Phänomen feststellen können.«
»Ich kann jede Aufmunterung gebrauchen. Worum handelt’s sich denn?«
»Seitdem die › Galerie der Lügen ‹ sich auf den Menschen fokussiert, scheint die Stimmung in der breiten Öffentlichkeit wieder zu unseren Gunsten zu kippen. Offenbar können einige sehr wohl zwischen Therapie und dem Verbesserungswahn mancher Wissenschaftler unterscheiden. Man hört zunehmend Meinungsäußerungen wie: Wir wollen, dass natürlich gezeugte, entwickelte und geborene Kinder nicht zum Auslaufmodell der Bauserie Homo sapiens werden.«
»Das ist allerdings eine wirklich gute Nachricht. Gratuliere, Alex.«
»Ich habe nur ein paar Gedankenverbindungen hergestellt und über die Museumseinbrüche berichtet. Mir gefällt die Vorstellung auch nicht, aber wenn einer die Lorbeeren verdient, dann ist es wohl das › Gehirn ‹ .«
Sie bemerkte, wie Darwin sie auf eine unerfreulich intensive Art musterte. Rumorte da in ihm wieder das Misstrauen?
In diesem Moment erreichten sie die Kreuzung Via Ricasoli und Via degli Alfani. Alex entdeckte die ersten weiß-roten Absperrungen der Polizei. Noch war die Straße zur Kunstakademie befahrbar, aber in wenigen Stunden würde sich das Viertel in eine Festung verwandeln.
»Das Ganze ist mehr Säbelrasseln als sinnvoller Schutz«, schnaubte Darwin. »Wenn sich der Retter des gesunden Menschenverstandes, genannt das › Gehirn ‹ , schon vor Wochen irgendwo gegenüber der Accademia eingemietet hat, dann könnte er sie mit sonst was in Brand schießen.«
Alex überhörte die Spitze auf ihre letzte Äußerung. Sie wiegte den Kopf hin und her. »Das wäre Vandalismus anstatt Symbolismus. Denke an den Unachtsamen Schläfer. Das › Gehirn ‹ will seine › Galerie der Lügen ‹ krönen. Blinde Zerstörungswut würde genau das Gegenteil bewirken.«
»Hoffentlich hast du Recht. Das Aufgebot an Sicherheitskräften ist jedenfalls immens. Sinnigerweise haben die Verantwortlichen das Unternehmen Operazione Gigante getauft.«
»Wie vielsinnig!«
»Kann man wohl sagen. Die › Operation Gigant ‹ steht unter der Federführung der Carabinieri Tutela Patrimonio Culturale, was ungefähr so viel bedeutet wie › Polizeieinheit zum Schutz des kulturellen Erbes ‹ .«
»Nie gehört.«
»Ist, wie der Name schon andeutet, eine Unterabteilung der Carabinieri.«
»Verstehe.«
»Von ArtCare ist vorgestern noch Jeff Blackwater angereist, unser Experte für Sicherheitstechnik. Letztere ist in den vergangenen Tagen mit Hochdruck ausgebaut worden. Du wirst es ja gleich erleben. Da geht’s rein.« Er deutete auf die karam ellfarbe nen Holztüren neben der Hausnummer 60.
Darwin lief als Erster unter dem gläsernen Schott im Rundbogen hindurch. Als Alex ihm folgte, spürte sie unvermittelt einen heißen Schmerz im Kopf, so als sei darin gerade ein Tauchsieder eingeschaltet worden. Sie schrie erschrocken auf und warf den Blick nach oben. Während der Schwindel sie übermannte, gewahrte sie noch die seltsame »Brückenkonstruktion« über dem Eingang. Ein Metalldetektor!, schoss es durch ihre brodelnden grauen Zellen.
Dann fiel sie in Ohnmacht.
Mehrere Dutzend Gesichter blickten auf sie herab. Es war nicht unbedingt ein angenehmes Erwachen. Alex spürte etwas Weiches unter ihrem immer noch glühend schmerzenden Kopf. Auch die Füße hatte man ihr hochgelegt. Zwischen dem bangen Schauen und sensationslüsternen Gaffen fand sie ein besorgtes braunes Augenpaar, das ihr vertraut war.
Als Darwin ihren Blick bemerkte, ging er sofort neben ihr in die Knie. »Ich hätte dich besser im Bart’s lassen sollen, anstatt…«
»Der Metalldetektor«, unterbrach ihn Alex stöhnend. Sie deutete über ihren Kopf hinweg zum Eingang.
»Mein Gott, daran habe ich überhaupt nicht gedacht!«, stieß Darwin hervor und rief eilig zu jemandem außerhalb von Alex’ Gesichtskreis, er solle das »Tor« abschalten. Dann wandte er sich wieder ihr zu. »Gleich kommt ein Krankenwagen.«
Irgendwo drang lautes Rauschen aus einem Sprechfunkgerät. Ein Polizist schimpfte auf Italienisch.
»Ausgeschaltet!«, rief eine Stimme im Hintergrund.
Sie
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