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Die Galerie der Lügen

Titel: Die Galerie der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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spürte, wie die Wirkung der Strahlung nachließ, wenngleich sie nicht völlig verschwand. Offenbar hatte die Polizei im Gebäude noch andere Geräte im Betrieb, die starke elektromagnetische Felder erzeugten. Alex versuchte sich aufzurichten, was die Zellen in ihrem Schädel erneut zum Wallen brachte.
    Dann, so als hätte jemand eine Höhensonne ausgeknipst, hörte die Hitze schlagartig auf.
    Sie fasste sich an die Stirn. Immer noch schienen dahinter kleine Männchen mit der Zerlegung ihres Hirns in seine Einzelteile beschäftigt zu sein. Alles drehte sich um sie herum, aber das Brennen war weg.
    »Was ist?«, fragte Darwin besorgt.
    Der Carabiniere mit dem Walkie-Talkie hatte endlich seinen Kontakt hergestellt. Ein Wortschwall ergoss sich in das Gerät.
    »… caso d’emergenza… medico di turno… ospedale…«
    Wie in der Sonne funkelndes Treibgut stachen einzelne Vokabeln aus der italienischen Mitteilungsflut hervor. Genug, um Alex in Panik zu versetzen. Sie ignorierte Darwins Frage und protestierte stattdessen: »Kein Krankenhaus!«
    »Sicher ist sicher, Alex. Ich will nicht schuld daran sein…«
    »Und ich will keinen Arzt sehen«, fiel sie ihm abermals ins Wort. »Außerdem passiert mir das nicht zum ersten Mal. Gleich bin ich wieder fit.«
    Er starrte sie einen Moment wütend an, doch dann wich die Anspannung aus seinen Zügen. »Na schön, aber dann lass ich dich ins Hotel bringen. In deinem Zustand bist du uns hier keine Hilfe. Entschuldige, wenn ich das so offen sage.«
    Alex wollte widersprechen, aber sie sah ein, dass Darwin Recht hatte. Zähneknirschend gab sie nach.
    Nur ein paar Minuten später fuhr sie mit Blaulicht in einem Polizeifahrzeug zum Hotel zurück. Ihr Gesicht war dem Seitenfenster des Wagens zugewandt, damit die beiden Carabinieri auf den Vordersitzen ihre Tränen nicht sahen. Die an ihr vorüberfliegenden jahrhundertealten Häuser nahm sie nur verschwommen wahr.
    Hätte sie etwas tun können, um Theo aufzuhalten? Sie wusste es nicht. Sicher hatte er sie benutzt, als er sie durch den Kassiber zu seinem Sprachrohr machte. War sie nicht längst ein Teil seines wahnsinnigen, aber irgendwie auch genialen Plans, so wie er auch zu ihrem Traum von einem Ende des Alleinseins gehörte? Schmerzlich entsann sie sich Darwins Blick, als sie Theos Verdienste um die öffentliche Debatte über die großen Fragen des Lebens erwähnt hatte. Er war sich mit ihr nicht sicher. Dabei hatte sie ihm nur helfen wollen.
    Nun kam sie sich einsam und nutzlos vor.

 
    Kapitel 20
     
     
     
    »Wahrlich, keiner ist weise, der nicht das Dunkel kennt«
    Hermann Hesse
     
     
    FLORENZ (ITALIEN),
    Sonntag, 21. Oktober, 21.52 Uhr
     
    Seit sieben Uhr abends befand sich die Galleria dell’Accademia im Belagerungszustand.
    Die Via Ricasoli war, ebenso wie die angrenzenden Straßen, für jeglichen Verkehr gesperrt. Selbst zu Fuß kam niemand mehr in das Viertel hinein. Die Bewohner waren aufgebracht, weil man sie erst wenige Stunden vorher über die Maßnahme informiert hatte. Doch Comandante Alessandro Mello setzte den Einsatzplan rigoros um. Jeder Bürger habe die Pflicht, Italiens Kulturerbe zu schützen. Das bisschen Unbequemlichkeit sei billigend in Kauf zu nehmen.
    Ein Korps des Comando Divisione Unità Specializzate dei Cara binieri verstärkte die nur etwa zwei Dutzend im Einsatz befindlichen Beamten der Einheit zum Schutz des kulturellen Erbes. Die Männer der Carabinieri-Spezialeinheit waren martialisch gekleidet: schwarze Kampfanzüge, kugelsichere Westen, Helme, Maschinenpistolen. Einsatzleiter Mello dagegen wirkte in seiner schwarzen Uniform mit dem roten Seitenstreifen auf der Hose und der Schirmmütze wie aus dem Ei gepellt.
    Innerhalb der Kunstakademie befanden sich nur wenige bewaffnete Polizisten, die den Eingangsbereich sowie das Treppenhaus im Obergeschoss und im Keller bewachten. Dr. Franca Marinelli hatte sich gegen einen »Truppenaufmarsch« in ihrem Museum gewehrt, und das mit einer Resolutheit, die Darwin bewunderte. Ihre sonst eher rauchig weiche Stimme klang wie eine Motorsäge, als sie dem Comandante klar machte, was eine Schießerei im Salone di Michelangelo anrichten könne. Ob die »Carabinieri zum Schutz des kulturellen Erbes« es darauf anlegten, als Zerstörer desselben Schlagzeilen zu machen? Am Ende hatte sich Comandante Mello mit finsterer Miene geschlagen gegeben.
    Gelegentlich war sich Darwin in den letzten Tagen wie ein Blitzableiter vorgekommen, wenn ihn wieder einmal der Zorn

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