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Die Galerie der Lügen

Titel: Die Galerie der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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herumzurühren. Dabei ließ er den Staub nach und nach niederfallen, ohne an dem Gesichtserker irgendetwas zu verändern. › So gefällt sie mir besser. Ihr habt ihr das Leben gegeben! ‹ , soll der Sachverständige daraufhin bemerkt haben.« Sie breitete die Hände aus. »Wie Sie sehen, setzt man sich leicht dem Spott der Jahrhunderte aus, wenn man einem Meister wie Il Divino Verbesserungsvorschläge macht. Er mag zwar nicht geahnt haben, wo seine Figur ihren Platz finden, aber mit Sicherheit wusste er, wie man sie sehen würde, nämlich so, wie wir zwei in diesem Augenblick.«
    »Wieso hatte Michelangelo keine Ahnung über den Standort?«
    »Sein Werkvertrag kam vom Domkapitel. Aber für die Kirche war der David dann doch etwas… unpassend. Den zeitgenössischen Berichten zufolge suchte erst eine Kommission – der übrigens auch Leonardo da Vinci und Botticelli angehörten – nach einem würdigen und repräsentativen Ort für die Aufstellung der Figur.«
    »Unpassend?«, echote Darwin. Das Wort hatte sich in seinem Hinterkopf verhakt.
    Francas Blick blieb an den Lenden des David hängen. »Der Prachtbursche war für den damaligen Zeitgeschmack schlicht und ergreifend zu nackt. Michelangelo dürfte sich bei der Wahl seiner Ausführung wohl mehr von künstlerischen als von sittlichen Aspekten leiten gelassen haben. Die Anlehnung an die antiken Akte ist unverkennbar, ein Ausdruck der Rückbesinnung oder › Wiedergeburt ‹ – nichts anderes bedeutet das Wort Renaissance. Eine Rückbesinnung auf die Kunst und Kultur Griechenlands, die von göttergleichen, aber heidnischen Kriegshelden geradezu überquoll.«
    »Ziemliches Wagnis, sich gegen den gesellschaftlichen Konsens aufzulehnen«, sagte Darwin. Unwillkürlich musste er dabei an Alex denken.
    Franca strich sich eine Strähne aus dem Gesicht und nickte. »Der Philosoph Giordano Bruno hat gesagt: › Die allgemeine Meinung ist nicht immer die wahrste .‹ Dafür hat die Kirche ihn auch verbrannt. Vielleicht hat Michelangelo ein halbes Jahrhundert zuvor ähnlich empfunden und sich nach einer Befreiung gesehnt.«
    »Denken Sie, Michelangelo war ein Revolutionär?«
    »Als Künstler ganz bestimmt. Vielleicht trieb ihn aber auch nur jugendlicher Übermut. Man muss sich das einmal vorstellen: Noch sechs Jahre zuvor – unter dem Bußprediger Savonarola – hatten die Bürger von Florenz dem › Heidentum ‹ der Humanisten den Krieg erklärt und ihrer Kunst abgeschworen. Unersetzliche Werke wurden verbrannt. Kein Wunder, dass sich an der Nacktheit des David die Gemüter erhitzten. Das Standbild wurde während seines fünf Tage dauernden Transports vom Dom zum Rathausplatz mit Steinen beworfen. Schließlich mussten seine Genitalien mit einem vergoldeten Feigenblatt bedeckt werden. Heute können Sie den Penis von II Gigante in ganz Florenz auf T-Shirts, Tragetaschen und in Gips erwerben. Absurd, was?«
    »Anscheinend gehört Ausgeglichenheit nicht gerade zu den verbreitetsten Tugenden. Weil sie gerade das Alter Michelangelos erwähnen, ich stelle ihn mir immer als einen alten Mann mit Bart vor.«
    »Dio mio!« Die Direktorin kicherte, als wäre sie wieder die Kunststudentin. »Nein, das war er nicht. Jedenfalls nicht, als er den David aus seinem steinernen Gefängnis befreite. Mit sechsundzwanzig fing er damit an.«
    »So jung?«
    Sie nickte. »Er brauchte zweieinhalb Jahre, nachdem sich mehrere andere Künstler vergeblich mit dem weißen Marmorblock aus Carrara abgemüht hatten, den man übrigens schon zu dieser Zeit Il Gigante – › der Gigant ‹ – nannte. Michelangelos Biograf Giorgio Vasari behauptet, zwischen den Beinen der › verdor benen ‹ Statue sei bereits ein Loch gewesen.«
    »Erstaunlich, was er trotzdem daraus schuf. Das allein ist schon, finde ich, der Sieg eines David gegen einen marmornen Goliath.«
    Francas rote Lippen schmunzelten. »Das haben Sie hübsch gesagt. Es gibt tatsächlich unzählige Deutungen zu dieser Figur und ihrer Geschichte. Man kann es auch so sehen: Der David vor der Signoria – dem Rat der Stadt und eigentlich jeder staatlichen Gewalt – ist eine Warnung, sich stets bewusst zu sein, dass gelegentlich der Stein eines Furchtlosen genügt, um einen Kampf zu entscheiden – ja, um ein Gewaltregime zu beseitigen.«
    »Ein Gewaltregime beseitigen?«, wiederholte Darwin leise. Nachdenklich ließ er seinen Blick erneut den Giganten erklimmen.

 
    Kapitel 19
     
     
     
    »Natürlich war er ein Teil meines Traumes, aber

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