Die Galerie der Lügen
Kunstschätze der Menschheit nicht als Köder für einen zerstörungswütigen Kriminellen benutzen will. Nur fürchte ich, das › Gehirn ‹ lässt sich davon nicht abschrecken.
Alessandro Mello, der Polizeieinsatzleiter, behauptet zwar, selbst eine Fledermaus könne seinen Sicherheitskordon nicht durchdringen, aber das halte ich für eine Fehleinschätzung. Ich traue dem › Gehirn ‹ zu, einen Hubschrauber zu chartern und eine Bombe über der Accademia abzuwerfen.«
»Jetzt übertreibst du aber.«
Darwin steuerte vor dem Hotel auf der Piazza dell’Unit à Ital i ana eine freie Parkbucht an. »Stimmt«, räumte er ein, während er am Lenkrad kurbelte. »Aber trotzdem bleibt bei mir so ein komisches Gefühl, die Verantwortlichen könnten sich zu Unrecht in Sicherheit wiegen. Normalerweise kann ich mich auf meinen Bauch verlassen.«
Einige Minuten später checkte er Alex im Baglioni ein. Schon die Lobby des Hotels verriet, dass hier Luxus und Gediegenheit im Vordergrund standen: tiefer purpurfarbener Teppichboden, dunkelbraune Holzkassetten an der Decke, dick gepolsterte Ohrensessel, Rundbogen ohne Ende sowie überall Gemälde, Fresken und Plastiken, die gewiss nicht in jedem Souvenirladen zu erstehen waren.
Auch das Zimmer war, wie sich wenig später zeigte, ein florentinischer Traum – wenn man den traditionellen Stil schätzte. Während Alex noch über die antik anmutende Einrichtung staunte, hievte Darwin ihren Trolley auf die Gepäckablage.
»Durch das Fenster kannst du den Dom sehen. Hat mich einige Überredungskunst gekostet, der Dame an der Rezeption dieses Zimmer abzuschwatzen. Ich bin ein Stockwerk tiefer untergebracht und sehe nur parkende Autos auf der Piazza. Willst du dich kurz frisch machen?«
Alex war schon um vier Uhr morgens aufgebrochen. Der Flug ging um zwanzig nach sechs. Beim Zwischenstopp in Zürich hatte sie fast drei Stunden vertrödelt. Sie fühlte sich müde, aber trotzdem antwortete sie: »Nein. Lass uns zur Akademie spazieren. Ich kann’s gar nicht erwarten, den David endlich zu sehen.«
Darwin nickte. »Ist vielleicht keine schlechte Idee. Möglicherweise bist du eine der Letzten, denen das noch vergönnt sein wird.«
In Florenz stünden insgesamt sieben Kopien von Michelangelos Gigant, erklärte Darwin, während er und Alex bei herrlichem Sonnenschein von der Piazza del Duomo in die Via Ricasoli einbogen. Der Verkehr brandete um sie herum. Beim Brai nstor ming über den Einsatzplan habe doch tatsächlich ein sehr einflussreicher Vertreter der Exekutive vorgeschlagen, das Original gegen eines der Duplikate auszutauschen. Der Plan sei dann aber schnell verworfen worden.
Die Galleria dell’Accademia lag zwei Querstraßen weiter unten. Sie liefen unter dem weit ausladenden Gebälk von Häusern vorbei, das in den heißen Sommern des ausgehenden Mittelalters vielleicht schon Michelangelo oder Leonardo da Vinci Schatten gespendet hatte.
»Wie bist du hier aufgenommen worden?«, fragte Alex.
»Du meinst in Hinsicht auf die Medienkampagne gegen uns?«
Sie nickte.
»Dr. Franca Marinelli, die Direktorin der Accademia, steht auf unserer Seite. Heute früh erst sagte sie mir, sie hätte mit großem Interesse deine neueste Folge der › Galerie der Lügen ‹ im Internet gelesen.«
»Hört sich eher unverbindlich an.«
»Na ja, sie meint, sie wolle die Gentechnik nicht rundweg verurteilen. Eltern mit einem Kind, das an Mukoviszidose oder an Muskelschwäche leide, könnten wahrscheinlich nicht verstehen, warum die Öffentlichkeit ein Gewese um die Biotechnologie mache. Sie wollen Hilfe.«
»Ich bin auch nicht dagegen, sinnvolle Therapien zu finden. Aber ich denke, man muss sich über das Wann und Wie Gedanken machen. › Wehret den Anfängen! ‹ Bertolt Brecht hat dabei wohl nicht an Biotechnologie gedacht, aber es gibt viele Wege, um in sein Verderben zu rennen. Derzeit kommt mir der Einsatz mancher Verfahren so vor, als hätte man gerade erst das Fliegen erfunden und startet jetzt fröhlich in die Lüfte, ohne überhaupt zu wissen, wie man nachher landen soll. Frei nach der Devise: Runter kommen sie alle.«
»So ähnlich hat auch Franca argumentiert. Wie gesagt, sie ist uns wohl gesonnen.«
»Im Gegensatz zu…?«
»Zum Einsatzleiter der Polizei. Comandante Mello verhält sich mir gegenüber ziemlich distanziert. Franca hatte mir gesteckt, er halte mich für ein Mitglied irgendeiner Sekte, deren Ziel es sei, die Wissenschaft ihrer Forschungsgelder zu berauben.
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