Die Galerie der Lügen
andererseits war auch ich ein Teil seines Traumes.«
Lewis Carroll
FLORENZ (ITALIEN),
Sonntag, 21. Oktober, 13.05 Uhr
Ihr Herzschlag beschleunigte sich, als im Fenster der Fokker 50 die sanfte Hügellandschaft der Toskana erschien. Das bis dahin gleichförmige Dröhnen der zwei Turboprop-Aggregate steigerte sich zu einem Crescendo; zumindest kam es Alex so vor. Sie war aufgeregt. Ihr letzter Besuch in Florenz lag schon einige Jahre zurück. Schade nur, dass der Anlass der Reise wenig Hoffnung auf touristische Entspannung versprach. Ein Blick auf die Armbanduhr verriet, die Maschine war pünktlich. In etwa fünfzehn Minuten musste sie auf dem Flughafen Amerigo Vespucci landen. Bald würde sie Darwin Wiedersehen.
Als sie ihm in einem längeren Ferngespräch ihre Gründe dargelegt hatte, stieß er zunächst ins selbe Horn wie Dr. Atkey: »Musst du dich nicht schonen?« Aber schon die Frageform kam ihr seltsam vor. War seine Sorge um die »Partnerin« nur vorgeschützt? Erstaunlich schnell gab er ihrem Drängen nach und versprach, die Hinzuziehung seiner Chefberaterin gegen mögliche Bedenkenträger durchzusetzen. Und so kam es dann auch.
Sogar jetzt, im Landeanflug auf Florenz, drückte sie der Argwohn noch wie ein Stein im Schuh. Wollte er sie nur bei sich haben, um sie im Auge zu behalten? Misstraute er ihr nach wie vor? Verdächtigte er sie, irgendwie an den Museumseinbrüchen beteiligt zu sein? Sie hatte ihn ja nicht gerade mit Informationen zu ihrem Aufenthalt in Theos Versteck überhäuft.
»Du fantasierst!« Ihr Wispern ging im Gedröhne der Propeller unter.
Als Erstes fiel Alex sein ernstes Gesicht auf. Die Strapazen der letzten Zeit waren Darwin anzusehen, aber als er sie aus dem Zollbereich kommen sah, heiterte sich seine Miene schlagartig auf.
»Willkommen, Partner!«, rief er ihr entgegen, breitete die Arme aus, nahm dann indes doch nur ihre Rechte in seine Hände, um sie heftig zu schütteln. Nachdem er sich ihres Koffers bemächtigt hatte, fragte er nach ihrem Befinden.
»Die Kopfschmerzen sind noch nicht ganz weg, aber es geht«, antwortete Alex. In seiner Gesellschaft fühlte sie sich gleich viel besser, aber das wagte sie nicht auszusprechen.
»Hast du Lindsey niederschlagen müssen, um aus dem Krankenhaus zu entkommen?«
»So was Ähnliches. Er wollte mir die Reise partout ausreden. Zuletzt ließ er mich irgend so einen Wisch unterschreiben, damit ich das Krankenhaus nicht für Folgeschäden haftbar machen kann.«
»Die übliche Verfahrensweise. Ich bin froh, dass du trotzdem gekommen bist. Ach, und heute früh habe ich mit Lucy telefoniert. Sie sagte mir, dass ihr gestern viel miteinander geredet habt.«
»Stimmt. Ich kann deine Schwester gut leiden. Übrigens hat sie mir ihren Laptop geliehen, damit ich auf der Reise arbeiten kann.«
»Die › Galerie der Lügen ‹ ?«
Alex zog die Schultern hoch und nickte.
Darwin schüttelte lächelnd den Kopf. »Du bist wohl durch nichts klein zu kriegen.« In Richtung Ausgang deutend, fügte er hinzu: »Ich habe einen Mietwagen. Die Taxis hier sind mörderisch.«
Wenig später fuhren sie in einem silbergrauen Alfa Romeo Brera in Richtung Innenstadt. Bald erhaschte Alex einen Blick auf die Kuppel des Florentiner Doms. Ihr Herz fing wieder heftiger an zu schlagen, und ihre großen Augen waren wohl auch für Darwin nicht zu übersehen.
»Ich habe mir erlaubt, dich im Baglioni unterzubringen«, bemerkte er. »Ein nobles Vier-Sterne-Hotel, ganz in der Nähe der Piazza del Duomo. Wird dir gefallen.«
Sie sah ihn erstaunt an. »Wie komme ich denn zu der Ehre?«
»Nach allem, was du für ArtCare getan hast, sind wir dir das schuldig. Wenn du willst, können wir vom Hotel zu Fuß in die Via Ricasoli laufen.«
»Du meinst, in die Kunstakademie? Wenn wir die Zeit dazu haben, gerne.«
»Die Galerie schließt erst kurz vor sieben. Vorher ist kaum mit einem Auftauchen das › Gehirns ‹ zu rechnen.«
»Die Galleria dell’Accademia ist heute geöffnet?«, staunte Alex.
»Ja«, knirschte Darwin. »Nach außen hin fahren sie einen knallharten Kurs: › Wir lassen uns von Terroristen nicht erpressen! ‹ Andererseits wollen sie am Abend das ganze Viertel absperren. Da soll einer draus schlau werden!«
»Ist das der Grund, weshalb du so ein griesgrämiges Gesicht machst?« Alex biss sich auf die Lippe. Das hatte sie eigentlich nicht sagen wollen.
Er nickte mit säuerlicher Miene. »Ich verstehe ja, dass man einen der kostbarsten
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