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Die Galerie der Lügen

Titel: Die Galerie der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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und Alex ausreisen zu lassen. Jeff Blackwater, der Sicherheitschef von ArtCare, war von dem Arrangement ausgenommen. Mit der Bereitstellung des zweistrahligen Businessjets krönte Hardstone seine diplomatische Meisterleistung.
    Alex saß zum ersten Mal in einem fliegenden Mercedes Benz; so kam ihr die Do 328 von Fairchild Dornier vor, die der höchste englische Staatsbeamte für sie und ihren Partner gechartert hatte. Freilich hätte das Dröhnen der Düsentriebwerke etwas leiser sein können, schon mit Rücksicht auf Darwin. Er schlief ihr gegenüber in einem ausladenden Sessel aus weißem Leder und sah alles andere als erholt aus. Der ramponierte Körper hatte ihn jedoch nicht von der Reise abhalten können. Eine weitere Nacht in einem achthundert Jahre alten Krankenhaus käme für ihn nicht in Frage, hatte er ihr lakonisch beschieden. Sie wusste, dass er die Strapazen für sie auf sich nahm, und hatte deswegen ein schlechtes Gewissen.
    Zwischen ihnen befand sich ein Tisch, auf dem Lucys Notebook-Computer stand. Einige Zeit, nachdem Darwin in seinem First-Class-Ledersessel eingenickt war, hatte Alex das Gerät ausgepackt und sich an die Fortsetzung der »Galerie der Lügen« gemacht. Zunächst beschrieb sie aus Sicht der Augenzeugin die Ereignisse in der Galleria dell’Accademia, was, wie sie hoffte, schon für sich genommen genügend Abnehmer im Medienzirkus anbeißen lassen dürfte. Anschließend machte sie sich an den weltanschaulichen Unterbau. Was hatte das »Gehirn« letztlich mit der Einbruchsserie bezweckt? Sie schrieb einige Absätze zu den von Darwin so treffend analysierten Hintergründen, warf einige Fragen zum Wesen der Wissenschaft auf und blieb – mitten über dem Ärmelkanal – plötzlich stecken.
    Irgendetwas stimmte nicht.
    Sie konnte selbst nicht greifen, was sie an ihrem Resümee zur »Galerie der Lügen« irritierte. Es war einfach nicht rund. Der Hut aus Rene Magrittes Le dormeur téméraire kam ihr wieder in den Sinn und all die anderen Symbole und Anspielungen auf Theos verhüllte Gedanken.
    »Verteufelst du gerade wieder die Wissenschaft?«
    Darwins Stimme ließ sie zusammenschrecken. Als habe er sie bei etwas Unanständigem ertappt, klappte sie rasch das Notebook zu und lächelte auf eine Art, die er bestimmt als Unsicherheit deuten würde.
    »Hast du ausgeschlafen?«
    Er reckte seinen unverletzten Arm – der rechte steckte wieder in einer Schlinge. »Nur ein bisschen geschlummert. Du schreibst am Abgesang deiner › Galerie ‹ , oder?«
    »Steht das irgendwo auf meiner Stirn geschrieben?«
    Er lächelte sie an. »Wer sich die Gedanken eines Menschen zu eigen macht, der lernt auch den Menschen kennen. Wie lautet deine Quintessenz aus dem, was du und ich in den letzten Wochen erlebt haben?«
    »Vielleicht kann ich dich ja überraschen: Ich weiß es nicht. Jedenfalls ist es keine Attacke gegen die Naturwissenschaften. Wenn du mir so etwas zutraust, dann hast du mich immer noch nicht verstanden.« Alex biss sich auf die Unterlippe. Warum fühlte sie sich immer gleich angegriffen?
    »Klär mich auf«, sagte Darwin. Er klang ehrlich interessiert.
    Sie hob die Schultern. »Da gibt’s nicht viel zu erklären. Wissenschaft und der Glaube an einen genialen Konstrukteur des Lebens sind kein Widerspruch. Ich denke sogar, sie passen wunderbar zusammen und können sich gegenseitig befruchten.«
    »Nach allem, was du mir beigebracht hast, würde ich die Naturalisten aber nicht zu den Befürwortern dieser Haltung zählen.«
    »Wohl wahr! Was nicht bedeutet, dass etliche von ihnen sehr befähigte Forscher sein mögen. Manche sind nur ein wenig… verblendet.«
    »Was meinst du?«
    »Poetisch ausgedrückt: Im Meer der Neugierde steckt unsere Erwartung den Kurs ab. Dieser Kapitän bewahrt uns vor mancher Irrfahrt, aber er verhindert auch die Entdeckung vieler unbekannter Ufer.«
    »Au!« Darwin verzog das Gesicht, als hätte er plötzlich Zahnschmerzen bekommen. »Das war wohl eher kitschig als poetisch. Mit anderen Worten, der Forscherdrang einiger Wissenschaftler ist durch ihren Tunnelblick eingeengt.«
    »So kann man es auch ausdrücken. Sie sehen lediglich, was ihre Erwartungen ihnen wahrzunehmen erlauben.« Alex atmete ruhig durch. Sie mochte diesen Mann. Etwas aufgeräumter erklärte sie: »Nimm die Paläontologie. Die darwinistische Methode hat stets darin bestanden, ein paar fossile Belegexemplare zu finden, sie als Beweis hinzustellen und alle sich daraus ergebenden Schwierigkeiten zu

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