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Die Galerie der Lügen

Titel: Die Galerie der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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deiner Meinung nach zusammen?«
    Alex zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht. Vielleicht verstehen sie am besten das anthropische Prinzip. Der Physiker Freeman John Dyson sagte mal, das Universum habe › in irgendeinem Sinn gewusst, dass wir kommen würden ‹ .«
    »Klingt ziemlich metaphysisch, wenn du mich fragst. Was meinte er damit?«
    »Um genau zu sein, wir reden gerade vom so genannten › starken anthropischen Prinzip ‹. Danach ist unser Universum in seinen Naturgesetzen und Naturkonstanten so beschaffen, dass es irgendwann Leben und Intelligenz hervorbringen musste. Es gibt eine wundersame Feinabstimmung im Universum, eine erstaunliche Harmonie kosmologischer Konstanten, die alle ineinander greifen. Nimm die elektromagnetische Kraft. Wäre sie nur etwas schwächer, hielten die Atome und Elektronen nicht zusammen. Ob du nun die Stärke der Gravitation betrachtest, das Planck’sche Wirkungsquantum, die Lichtgeschwindigkeit, die starke Kernkraft, die Energieebenen im Kohlenstoffatom und und und – würde man nur einen dieser Parameter minimal verändern, gäbe es im Universum kein Leben. Ja, nicht nur jede einzelne dieser Konstanten muss stimmen, sondern auch ihre Wechselwirkung. Schon die allerwinzigste Änderung im Verhältnis der Stärke der Gravitation zur Intensität der elektromagnetischen Kraft würde Sterne wie unsere Sonne in zu heiße blaue Riesen oder zu kalte rote Zwerge verwandeln – beides ließe kein Leben zu.«
    Darwin pfiff durch die Zähne. »Eigentlich nicht verwunderlich, dass die Physiker dem Gedanken an einen Schöpfer noch am ehesten aufgeschlossen gegenüberstehen.«
    Die Stimme des Kapitäns in den Lautsprechern verlangte schnarrend das sofortige Anschnallen der Passagiere.
    Während Alex den Computer in der Tragetasche verstaute, sagte sie: »Hätten wir die Zeit, uns mit den Details zu beschäftigen, würdest du vermutlich zu demselben Schluss kommen wie Paul Davis, ebenfalls ein Physiker. Er sagte schlicht: › Wir sind dazu da, hier zu sein. ‹ «
    Eine kleine Stille trat ein. Sie bemerkte, wie Darwin nachdenklich jeden ihrer Handgriffe beobachtete. Lächelnd fragte sie: »Was ist? Habe ich was Falsches gesagt?«
    Er schüttelte den Kopf. »Nein. Ich versuche nur gerade die verschiedenen Bedeutungsebenen, deiner letzten Äußerung zu verstehen.«
    »Du meinst, dass wir dazu da sind, hier zu sein?«
    Sie glaubte, sein Blick würde bis ins Mark ihrer Seele dringen.
    Unvermittelt kräuselten sich seine Lippen, und er fragte: »Ob das › Gehirn ‹ über das anthropische Prinzip ebenso denkt wie du?«
    »In welcher Hinsicht?«, entgegnete sie vorsichtig.
    »Na, meint Theo, der Versuch einer Verbesserung des Menschen durch Genmanipulation wäre ein Verstoß dagegen? Bedeutet es seiner Ansicht nach das Drehen an einem der fein abgestimmten Schräubchen, die das Uhrwerk des Lebens am Laufen halten? Könnte dadurch alles zum Stehen kommen? «
    Alex zögerte. Offenbar glaubte Darwin immer noch, sie sei lediglich das Ergebnis eines außer Kontrolle geratenen Experiments. Sie war drauf und dran, ihm die ganze Wahrheit zu sagen.
    »Als ich in Theos Landhaus war…«
    Unter ihren Füßen rumpelte es. Die Fahrwerksabdeckungen hatten sich geöffnet.
    Sie fing noch einmal von vorne an. »Theo sagte zu mir: › Manchmal komme ich mir vor wie die Verkörperung des Missbrauchs der Natur. ‹ «
    Darwin fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. »Das würde meine Vermutung doch ziemlich genau treffen, oder?«
    »Ich weiß nicht«, erwiderte Alex. Sie knabberte einige Sekunden lang auf ihrer Unterlippe. »Ich werde einfach das Gefühl nicht los, in meiner › Galerie der Lügen ‹ etwas übersehen zu haben. Aber ich komme nicht darauf, was es sein könnte.«
    Darwin schürzte die Lippen. »Das Gemälde vom unachtsamen Schläfer ist ja ziemlich übersichtlich. Es gibt eigentlich nur drei Dinge, die wir bisher nicht mit Bedeutung aufgeladen haben, wie meine Meisterin sagen würde.«
    Alex musste unwillkürlich schmunzeln. »Und die wären?«
    »Der düstere Himmel, der aufrecht stehende Stein und die hölzerne Kiste.«
    Sie riss Mund und Augen auf, war einige Sekunden lang sprachlos, bis sie entsetzt hauchte: »Verdammt, wie hatte ich das nur übersehen können!?«

 
    Kapitel 26
     
     
     
    »Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein Dummkopf. Aber wer sie weiß und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher!«
    Bertolt Brecht
     
     
     
    LONDON (ENGLAND),
    Montag, 22. Oktober, 22.05

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