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Die Galerie der Lügen

Titel: Die Galerie der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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sich an einen skandalösen Bericht, den sie im Wall Street Journal gelesen und anschließend in ihr elektronisches Archiv eingescannt hatte. Rasch rief sie sich die Kopie des Artikels auf den Flachbildschirm. Darin wurde der Fall von Dr. Richard Sternberg geschildert, einem mit dem Washingtoner Smithsonian’s National Museum of Natural History verbundenen Biologen. Sternberg war leitender Redakteur eines vom Museum herausgegebenen, aber nominell unabhängigen Wissenschaftsjournals. Im August 2004 hatte er Stephen Meyer, einem Doktor der Biologie und Philosophie, die Veröffentlichung eines Artikel über den »Ursprung biologischer Informationen« in ebendieser Zeitschrift ermöglicht, was ihm zum Verhängnis werden sollte.
    In dem umstrittenen Essay erdreistete sich Sternbergs Kollege zu dem Bekenntnis, bestimmte Merkmale lebender Organismen – wie »Miniaturmaschinen« und komplexe Regelkreise in Zel len – seien besser durch eine gestaltende Intelligenz zu erklären als durch ungerichtete natürliche Prozesse wie zufällige Mutationen und natürliche Zuchtwahl. Die Veröffentlichung bot erstmalig die Möglichkeit, einen Aufsatz zum Konzept des Intelligenten Designs dem peer review zuzuführen, also einer kritischen Prüfung und dem Meinungsaustausch durch Fachkollegen. Lange hatte man den Vertretern des Intelligent Design vorgeworfen, sie würden sich dieser »goldenen Regel« der Wissenschaftsgemeinde entziehen. Nun ging ein Aufschrei durch deren Reihen, als tatsächlich einer seine Argumente zur Diskussion stellte. Offenbar gab es Interessengruppen, die einen solchen Präzedenzfall um jeden Preis verhindern wollten.
    Innerhalb kürzester Zeit geriet Sternbergs Forscherkarriere ins Rutschen. Jonathan Coddington, der Leiter der Zoologischen Abteilung des Naturhistorischen Museums, rief die Vorgesetzte des Querdenkers an. Als Erstes fragte er: Ist er ein religiöser Fundamentalist? Sie antwortete: Nein. Darauf wollte er wissen: Gehört er einer religiösen Organisation an, oder ist er mit einer solchen verbunden? Danach erkundigte er sich nach Sternbergs politischer Orientierung. I st er ein Rechter?… Wo ist er denn nun politisch anzusiedeln?
    Alex verabscheute diesen unter Darwinisten sehr verbreiteten Reflex: Anstatt sich den Fakten und Argumenten zu stellen, griffen sie die Person an. Sternberg hatte im Gegensatz zu manchem Kollegen wohl an die Einsichtsfähigkeit oder zumindest an die Toleranz seiner Fachkollegen geglaubt. Als seine Vorgesetzte ihn über das Telefonat mit Coddington unterrichtete, muss der Zorn in ihm hochgekocht sein. Jedenfalls bestätigte er ihre Beobachtungen.
    »Hier gibt es Christen, aber sie behalten ihre Köpfe unten.«
    David Klinghoffer, der Verfasser des Kommentars im Wall Street Journal, kam zu einem ähnlichen Resümee, wie auch Alex es formuliert hätte: »Darwinismus… ist eine wesentliche Voraussetzung der Säkularisierung, ein aggressiver, quasi-religiöser Glaube ohne eine Gottheit. Der Sternberg-Fall scheint in vielerlei Hinsicht ein Beispiel dafür zu sein, wie eine Religion eine andere verfolgt, Loyalität von jedem einfordert, der eine ihrer Kirchen betritt – wie das National Museum of Natural History.«
    Weil der überwältigende Teil der Medien so tat, als gebe es nur die globale Religion des Naturalismus, hatte Alex schon seit längerem mit einer völlig neuen Form des Terrorismus gerechnet. Jetzt schienen sich ihre Befürchtungen zu bestätigen. Vielleicht sah das »Gehirn«, das im Louvre sogar Menschenleben geopfert hatte, sich sogar als Freiheitskämpfer, denn der Anspruch nach absoluter Macht hatte im Laufe der Geschichte immer wieder Rebellen auf den Plan gerufen.
    Einmal mehr klingelte ihr Telefon. Zum wievielten Mal? Sie wusste es nicht, überließ den Anrufer ihrem automatischen Schutzschild.
    Die Behauptung, es gehe in Auseinandersetzungen wie dem Sternberg-Fall nur darum, »Unsauberkeiten« von der reinen Lehre fern zu halten, hielt sie für ein propagandistisches Tauschungsmanöver. Darin stimmte sie mit dem amerikanischen Wissenschaftshistoriker T. S. Kuhn überein, nach dessen Ansicht ein unsicheres Paradigma weiterlebt, wenn es imstande ist, Anomalien unsichtbar zu machen. Solche Fähigkeiten zur Verdrängung unbequemer Erkenntnisse zeigten sich eindrucksvoll in der Behauptung, dass es nichts in der Natur gibt, das nicht Teil der materiellen Natur ist, und außerhalb der Natur nichts existieren kann. Diese Grundannahme des Naturalismus war in

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