Die Galerie der Nachtigallen
Karrengleise und gingen hinüber auf die
schattige Straßenseite, denn inzwischen brannte die Sonne
heftig auf sie herab. Cranston wischte sich über das
schweißnasse Gesicht und schob Athelstan in die Schänke
»Zum Schwein des Bischofs«. Im Schankraum war es dunkel
und kühl; unter der hohen geschwärzten Balkendecke
zirkulierte die Luft, die durch offene Fenster an der
Rückseite hereinströmte. Cranston und Athelstan setzten
sich, und der Bruder wunderte sich im stillen über Sir Johns
unaufhörliche Gier nach Erfrischungen; der Untersuchungsrichter aß und
trank, als gäbe es von nun an nie wieder was. Wie immer tat er
sich nun gütlich; er bestellte zwei große Krüge mit
schäumendem Ale, dazu eine Aalpastete und eine Schüssel
Gemüse. Alles verschwand in seinem riesigen Schlund,
während der Untersuchungsrichter gleichzeitig Fortescue
beschimpfte. Endlich hatte sich seine Wut verflüchtigt; Sir
John wischte sich den Mund, lehnte sich zurück und schaute den
Ordensbruder an. Athelstan löste sich aus seinen
Grübeleien über seine Kirche; er sah, daß Sir Johns
gute Laune zurückgekehrt war und sie sich nun ihrer Aufgabe
zuwenden würden.
»Hatte der
Oberrichter eigentlich recht?« fragte Cranston.
»Womit?«
»Mit dem, was er
über dich und deinen Bruder gesagt hat.« Athelstan
verzog das Gesicht.
»Bis zu einem
gewissen Grade hat er die Wahrheit gesagt, aber ich glaube nicht,
daß es ihm darum ging. Eher war es das bösartige
Verlangen, mich zu verletzen.«
Cranston nickte und
wandte den Blick ab. Eigentlich verabscheute er Pfaffen.
Mönche konnte er nicht ausstehen. Ordensbrüder waren ihm
zuwider, aber mit Athelstan war es anders. Er warf einen Blick auf
das dunkle Gesicht des Priesters, auf die sauber rasierte Tonsur im
schwarzen Haar. Eher ein Soldat, dachte er, als ein Mönch. Er
seufzte und wischte sich den Schweiß vom Hals; jeder Mensch
hatte so seine Geheimnisse, und auch er, Cranston, hatte welche.
»Diese Sache«, sagte er, »Springalls Tod. Glaubst
du, dahinter steckt ein Geheimnis?«
Athelstan beugte sich
vor und stützte die Ellbogen auf die Knie.
»Es ist etwas
Merkwürdiges dabei«, sagte er leise. »Ein Kaufmann
wird von einem Diener ermordet, dieser begeht dann Selbstmord. Ein
sehr passender Tod, hübsch ordentlich. Ein sauber
verschnürtes Bündel, ein Päckchen, ein Geschenk
für die Dreikönigsnacht. Es sind doch eigentlich zwei
Geheimnisse, oder? Das erste ist die Eleganz der beiden
Todesfälle, und das zweite ist das Interesse, das Lord Gaunt
an ihnen hat. Ja, Sir John - ich glaube, es gibt Geheimnisse bei
dieser Sache, aber nur Gott weiß, ob wir sie lüften
werden.« »Es steckt mehr dahinter, wie?« Cranston
war erfreut, seine eigenen Gedankengänge bestätigt zu
sehen.
»O ja.«
Athelstan richtete sich auf und streckte sich. »Gaunt ist
anscheinend besorgt wegen Springalls Tod, als wäre dieser Tod
eine Gefahr für sein eigenes Leben. Es muß so sein;
weshalb sollte er sonst veranlassen, daß der Oberste Richter
uns zu sich bittet? Um uns eindrucksvoll klarzumachen, wie wichtig
die Aufgabe ist? Um unsere Ergebenheit auf die Probe zu stellen und
uns einen Sonderauftrag zu erteilen?« Er stand auf.
»Wenn Ihr erfrischt seid, Sir John, ist es vielleicht an der
Zeit, das herauszufinden.«
Cranston erhob sich,
griff nach seinem Mantel und warf ihn über den Arm. Dann
rückte er den breiten Schwertgürtel über seinem
Wanst zurecht. Ein langer, schmaler walisischer Dolch in
verschlissener Lederscheide hing daran, und außerdem das
breiteste Schwert, das Athelstan je gesehen hatte. Wieder
preßte er die Lippen zusammen, um ein Grinsen zu
unterdrücken. Cranston watschelte durch die Schänke und
brüllte dem Wirt und seinem Weib, die am anderen Ende des
Raumes zwischen einigen Fässern hantierten, ein paar
Abschiedsworte zu. Die Laune des Untersuchungsrichters war
wiederhergestellt, und Athelstan machte sich auf einen aufregenden
Tag gefaßt.
Sie gingen durch die
Cheapside zurück. Es war inzwischen früher Nachmittag,
und bei den Händlern herrschte reges Treiben.
»Ein feiner Hut
nach französischer Form!« rief einer. »Nadeln!
Senkel! Hosenbänder! Spanische Handschuhe! Seidene
Bänder!« schrie ein anderer.
»Kommt
her«, gackerte eine Frau aus einer Haustür, »holt
euch gestärkte Halskrausen und spinnwebfeines
Linnen!«
Das Geschrei wurde zum
dämonischen Chor. Karren rumpelten vorbei, nach dem
morgendlichen Handel jetzt leer, und ihre Besitzer hatten es eilig,
die
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