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Die Galerie der Nachtigallen

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Titel: Die Galerie der Nachtigallen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Harding
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des
Regenten.
    »Euer
Auftrag«, erklärte Fortescue trocken. »Vollmachten
und die Befugnis, diese Angelegenheit zu untersuchen.« Der
Oberrichter erhob sich zum Zeichen, daß die Besprechung
beendet sei. »Selbstverständlich sind alle
Kostenabrechnungen dem Kassierer des Schatzamtes vorzulegen.«
Er rieb sich die Hände. »Allerdings werden die Barone
ein Übermaß an Speise und Trank nicht anstandslos
begleichen.«
    Cranston erhob
sich.
    »Meine
Abrechnungen werden richtig sein, wie sie es immer sind, und ich
werde ständig Erfrischungen zu mir nehmen. Schließlich
ist es so, Mylord: Wenn man manchen Leuten zuhört, dann
bleiben einem ihre Lügen im Hals stecken und machen
furchtbaren Durst.«
    Er griff nach seinem
Mantel; Athelstan packte den Lederbeutel mit seinem Schreibzeug und
folgte Cranston, der mit wiegendem Schritt zur Tür ging. Der
Bruder wagte nicht aufzublicken und mühte sich angestrengt,
keine Miene zu verziehen.
    »Sir
John!«
    Der Coroner blieb
stehen.
    »Die Söhne
des Dives«, sagte Fortescue. »Wißt Ihr etwas von
denen?«
    Cranston
schüttelte den Kopf. »Nein, wieso sollte
ich?«
    »Es ist ein
Geheimbund«, antwortete Fortescue gereizt. »Ihre
Zusammensetzung und ihre Ziele sind unbekannt. Aber Sir Thomas, so
sagen meine Spitzel, stand mit ihnen in Verbindung. Dives sagt Euch
auch nichts?«
    »War er nicht
der reiche Mann im Lukas-Evangelium? Reich und verdorben,
ließ er den Armen vor seiner Tür
verhungern.«
    Fortescue
lächelte und sah Athelstan an.
    »Stimmt es,
Bruder«, sagte er unvermittelt, »daß du für
den Tod deines Bruders Buße tust? Hat dein Orden dich deshalb
in die Kirche von St. Erconwald gesteckt und zu Sir John Cranstons
Schreiber gemacht?« Das Grinsen des Oberrichters wurde
breiter. »Du solltest dich zu seinen Füßen setzen,
Bruder. Sir John wird dich im Recht unterweisen. Er wird dir alles
erzählen, was er weiß. Ich bin sicher, das dauert nicht
lange.«
    Cranston drehte sich
um. Sein stahlgrauer Haarschopf schien sich vor Zorn zu
sträuben, aber in seinen dunklen Augen funkelte boshafter
Spott, als er sich jetzt über den Bart strich.
    »Das werde ich
tun, Mylord«, sagte er langsam. »Ich werde Bruder
Athelstan beibringen, was ich über das Recht weiß, und
es wird bestimmt nicht lange dauern. Dann freilich werde ich ihm
beibringen, was wir beide wissen, Ihr und ich, und das wird sicher
keinen Deut länger dauern.«
    Cranston drehte sich
auf dem Absatz um, und Athelstan, der an seinem Lachen beinahe
erstickt wäre, folgte ihm. Mit großen Schritten
verließen sie Alphen House und kehrten über den Castle
Yard nach Holborn zurück.
    »Bankert!
Halunke! Lüstling! Arschpickel!« Cranston schwelgte in
bündiger Zusammenfassung dessen, was er von dem Oberrichter
hielt. Athelstan schüttelte den Kopf; er war hin- und
hergerissen zwischen Bewunderung für Cranstons Ehrlichkeit und
dem Verlangen, in lautes Gelächter auszubrechen über die
Art, wie er mit dem Oberrichter fertiggeworden war. An der Ecke der
Holborner Hauptstraße blieben sie stehen, um einen
Hinrichtungskarren vorbeirattern zu lassen, dessen eiserne
Räder über das Kopfsteinpflaster lärmten. Ein
schwarzmaskierter Henker und ein Pfarrer mit schweißnassem,
bleichem Gesicht standen darauf; zwischen sich hatten sie einen
Piraten, der, wie auf einer an den Karren gehefteten Tafel zu lesen
war, zwei Tage zuvor vor der Mündung der Themse gefangen
worden war. Er trug die Schlinge bereits um den Hals, lachte und
scherzte mit der kleinen Menschenmenge, die neben dem Karren ging
und ein Lied sang, das an Hinrichtungstagen beliebt war:
»Zieht an den Kittel am Montag ...« Der Verurteilte
schien nicht die Bohne von seinem bevorstehenden Tod beeindruckt zu
sein. Wichtiger war ihm, seinen scharlachroten Mantel und sein
Taftwams zu zerreißen und die Fetzen unter den Zuschauern zu
verteilen. Immer wieder grinste er den Henker an.
    »Du kriegst
nichts von meinen Sachen!« grölte er. »Nackt bin
ich auf die Welt gekommen, und nackt verschwinde ich wieder von
hier. Um so vergnügter, wenn ich weiß, daß du
keinen Fetzen von mir bekommen hast!«
    Die Zuschauer
brüllten vor Lachen über solche Scherze, und während
der Karren dem großen Drei-Galgen-Schafott bei The Elms
entgegenschaukelte, begleiteten ihn Gesang und Jubel.
    »Eher eine
Hochzeit als eine Hinrichtung«, brummte Cranston. »Der
Henkersknecht wird den Knoten verdrehen. Der Bursche wird lange
tanzen, ehe er stirbt.«
    Sie überquerten
die ausgefahrenen

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