Die Galerie der Nachtigallen
Plauderton fort, ohne sich um Cranstons
wütenden Blick zu kümmern. »Vechey findet den
Toten. Er sucht in dem Plunder hier nach einem Messer«,
Athelstan berührt die Klinge auf dem Boden mit der
Fußspitze, »schneidet Brampton herunter, stellt aber
fest, daß er tot ist.«
»Ja«,
antwortete Buckingham. »So ähnlich. Und dann kam er
herunter und sagte uns Bescheid.«
Athelstan bückte
sich und hob den Dolch vom Boden auf. Er hatte ihn gleich beim
Hereinkommen gesehen, und es war offensichtlich, weshalb man ihn
weggeworfen hatte. Der Griff war abgestoßen und zerbrochen,
und die Klinge war an einer Seite schartig, aber die Schneide war
noch sehr scharf. Athelstan kletterte auf den Schemel und dann auf
den Tisch. Er betrachtete das zerfranste Ende des Seils. Ja, dachte
er, Brampton war groß genug gewesen, um das Seil am Balken
festzubinden, sich die Schlinge um den Hals zu legen und
sorgfältig festzuzurren, bevor er vom Tisch getreten
war.
»Master
Buckingham«, sagte Athelstan, während er wieder
herunterstieg, »wir haben Euch jetzt lange genug aufgehalten.
Ich wäre Euch überaus dankbar, wenn Ihr Lady Isabella und
auch Sir Richard meine Empfehlungen ausrichten und sie bitten
wolltet, mich unten auf dem Söller zu erwarten. Ich
möchte auch den Arzt dabeihaben. Er wohnt doch in der
Nähe, oder? Und auch die Dienerschaft sollte befragt
werden.«
Buckingham nickte; er
war erleichtert, daß die eingehende Befragung seiner selbst
vorüber war, und überließ es Athelstan, den
dösenden Cranston auf die Beine zu stellen. Der Coroner
sträubte sich murrend. Athelstan legte Sir John einen Arm um
die Schultern und geleitete ihn vorsichtig die Treppe hinunter. Zum
Glück war die Galerie verlassen. Er lehnte den Coroner an die
Wand und tätschelte ihm sanft das Gesicht.
»Sir John! Sir
John! Bitte wacht auf!«
Cranston riß die
Augen auf.
»Keine Sorge,
Bruder«, nuschelte er. »Ich bringe dich schon nicht in
Verlegenheit.« Er stand breitbeinig und warf den Kopf hin und
her, als könnte er so die Nebel aus seinem Hirn
verjagen.
»Kommt«,
sagte Athelstan. »Der Arzt und die Diener erwarten
uns.«
Athelstan hatte nur
zum Teil recht. Die Diener warteten in der kleinen,
weißgekalkten Speisekammer neben der mit Steinplatten
ausgelegten Küche, aber der Arzt war noch nicht gekommen.
Buckingham stellte sie vor, während Cranston zu einem
großen Bottich wanderte und mit einem Becher Wasser
herausschöpfte, das er geräuschvoll trank; den Rest
spritzte er sich in das rosarote Gesicht. Athelstan befragte die
Dienstboten geduldig; er zog es vor, sie als Gruppe vor sich zu
haben, um ihre Gesichter beobachten und Anzeichen von List oder
Verschwörung sogleich entdecken zu können. Es war
mühselig genug, weil Buckingham neben ihm herumlungerte, als
wollte er dafür sorgen, daß nichts Ungebührliches
gesagt werde. Cranston schwankte währenddessen und
rülpste und blökte wie ein betrunkener Trompeter. Etwas
Neues erfuhr er nicht. Das Bankett war eine gesellige
Angelegenheit gewesen. Oberrichter Fortescue war nach dem Mahl
gegangen, und Sir Thomas guter Dinge gewesen.
»Und
Brampton?« fragte Athelstan.
»Der hat den
ganzen Tag geschmollt«, quiekte die junge Spülmagd und
hielt dabei den Arm eines vierschrötigen Knechtes fest
umklammert. »Er blieb in seiner Kammer. Er ...« Sie
geriet ins Stottern. »Ich glaube, er war
betrunken.«
»Hat einer von
euch gehört, daß jemand im Haus herumschlich?«
erkundigte sich Athelstan. »Spät in der Nacht, als alle
sich zurückgezogen hatten?«
Die Magd errötete
und schlug die Augen nieder.
»Durch den Hof
ist niemand gekommen«, gab der junge Knecht hitzig an.
»Sonst hätte er die Hunde geweckt.«
»Brampton - was
war der für einer?« bellte Cranston.
Der alte Diener, der
ihnen die Tür geöffnet hatte, zog verzweifelt die
Schultern hoch. »Ein braver Mann«, sagte er mit
zitternder Stimme.
»Und warum soll
Sir Thomas dann zornig auf ihn gewesen sein?«
Der Alte wischte sich
die rotgerändeten Augen. »Es hieß, er hätte
die Papiere des Herrn durchwühlt. Ein Knopf von seinem
Wams«, stammelte er, »so habe ich es wenigstens
gehört, wurde neben einer der Truhen gefunden, an denen man
sich zu schaffen gemacht hatte.«
»Wonach hat
Brampton gesucht?«
Grabesstille folgte
Athelstans Frage. Die Dienstboten scharrten mit den
Füßen und warfen Buckingham flehentliche Blicke
zu.
»Guter
Bruder«, vermittelte der Schreiber, »Ihr erwartet doch
gewiß nicht, daß die
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