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Die Galerie der Nachtigallen

Die Galerie der Nachtigallen

Titel: Die Galerie der Nachtigallen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Harding
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mästeten wie Flöhe an Sir Thomas und seinem
Scharfsinn. Und natürlich der junge Buckingham. Athelstan
überlief ein Schauder. Er kannte Männer wie Buckingham,
mit ihren flatternden Lidern und den anmutigen, zierlichen
Gebärden; Männer, die lieber Frauen gewesen wären,
ihre Natur aber unter dem Mantel der Dunkelheit verhüllten,
damit sie nicht erkannt und in Smithfield bei lebendigem Leibe
gesotten würden. Und schließlich der gute Priester
Crispin. War sein Bein wirklich so verwachsen, wie er vorgab? Als
er dem Priester im Söller das erstemal begegnet war, hatte er
wohl bemerkt, wie schwerfällig sein Gang war, aber als er sich
später in Springalls Schlafraum zu ihnen gesellt hatte, war
Athelstan aufgefallen, daß der Priester jetzt spanische
Reitstiefel trug, deren einer einen leicht erhöhten Absatz
hatte, ln diesen Stiefeln hatte er sich leichtfüßig und
flink bewegt.
    Sir John stöhnte
plötzlich und richtete sich auf.
    »O Gott,
Athelstan«, ächzte er, »mir wird
schlecht.«
    Und der Coroner erhob
sich und wankte zur Tür.

Kapitel 3
    Draußen blieb
Sir John stehen, um sich zu übergeben; danach beteuerte er
lautstark, es gehe ihm gut. Athelstan schlang seinen Arm um den des
Coroners, und vorsichtig wanderten sie durch die Cheapside. Es
regnete, und der Boden war noch glitschiger geworden. Die Wache
hielt sie auf, eine Ansammlung von arroganten Dienern und
Gefolgsleuten einiger großer Ratsherren. Sie hätten gern
beide verhaftet und sich mit Vergnügen einen Ordensbruder
vorgeknöpft, aber Athelstan ließ sie wissen, daß
sein Begleiter kein geringerer als Sir John Cranston sei, dem es
gerade nicht gutgehe. So traten sie beiseite und mühten sich,
ihr spöttisches Grinsen zu verbergen. Als sie von der
Cheapside in die Poultry einbogen, hörte Athelstan ihr
brüllendes Gelächter hinter sich.
    Das Haus des Coroners
war ein hübsches, zweistöckiges Gebäude in einer
Gasse abseits der Poultry. Athelstan hämmerte an die Tür,
bis Sir Johns Ehefrau erschien - ein kleines Vögelchen von
Frau, sehr viel jünger als Cranston, die ihren Gemahl
begrüßte, als wäre er Hektor, der aus dem Krieg
zurückkam.
    »Die Last des
Amtes«, zwitscherte sie. »Es ist die Last des Amtes,
die ihn trinken läßt.«
    Und sie packte Sir
John bei der Hand und schob ihn ohne viel Federlesen die Treppe
hinauf.
    Athelstan blieb in der
Diele stehen und sah sich aufmerksam um, denn es war das erste Mal,
daß er in Cranstons Haus kam und seiner Frau begegnete. Das
Zimmer am Ende der Diele war gemütlich und behaglich; saubere
Binsen bedeckten den Boden, und vor dem Feuer stand ein
hochlehniger Sessel. Es duftete aus der Küche - das
Abendessen, das Sir John verpaßt hatte. Athelstan merkte, wie
hungrig er war. Cranstons Frau Maude kam zurück; sie tat immer
noch so, als hätte Athelstan ihren Gemahl von einem heroischen
Schlachtfeld zurückgebracht, und nicht etwa halb betrunken,
die Jacke mit Erbrochenem besudelt.
    »Bruder«,
sagte sie und nahm ihn bei der Hand; ihre hellen blauen Augen waren
voller Leben. »Es ist das erste Mal, daß ich Euch sehe.
Bitte, Ihr müßt noch bleiben.«
    Athelstan ließ
sich kein zweites Mal bitten: Dankbar ließ er sich auf einen
Stuhl sinken und nahm die Fleischpastete und den Becher mit
kühlem Wein, den Lady Maude ihm kredenzte. Danach führte
sie ihn in eine Kammer unter dem Dach des Hauses. Athelstan sprach
seine Gebete und das Dies Requiem für Springall,
Brampton, seinen eigenen Bruder und andere, bekreuzigte sich und
dankte Gott für einen gesunden Tag.
    Er schlummerte wie ein
Säugling und erwachte kurz nach dem Morgengrauen. Er hatte
Gewissensbisse, weil er nicht zu seiner Kirche zurückgekehrt
war, hoffte aber, seine wenigen Pfarrkinder würden es
verstehen. Ob Simon, der Dachdecker, die Pfannen repariert hatte?
War Bonaventura gefüttert worden? Und würde Watkin, der
Mistsammler, dafür sorgen, daß die Türen
verschlossen blieben und Godric in Sicherheit war? Und Benedicta,
die Witwe, die jeden Morgen zur Frühmesse kam und deren Mann
im Krieg des Königs jenseits des Meeres gefallen war
...?
    Athelstan setzte sich
im Bett auf und bekreuzigte sich. Manchmal merkte er, wie Benedicta
ihn anschaute, das hübsche Gesicht bleich wie Elfenbein, die
dunklen Augen lächelnd ...
    »Keine
Sünde!« murmelte Athelstan. »Keine
Sünde.« Auch Christus hatte Freundinnen gehabt.
Er starrte zu Boden. Zum ersten Mal erkannte er, wie wichtig ihm
diese Frau war. Jeden Morgen in der Messe suchte er

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