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Die Galerie der Nachtigallen

Die Galerie der Nachtigallen

Titel: Die Galerie der Nachtigallen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Harding
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die
Leiche?«
    Lady Isabella
schluckte ob solcher Schroffheit. Sir Richard trat ans Bett und zog
die schweren Vorhänge zurück. Das große Bett war
abgezogen worden und Springalls Leichnam lag aufgebahrt starr und
stumm unter einer Lederdecke. Cranston schlug die Decke
zurück. Athelstan hatte schon viele Tote, männliche und
weibliche mit den schrecklichsten Verletzungen gesehen, aber er
fand, diesen Mann umgab etwas Alptraumhaftes, wie er da im Bett lag
im Nachthemd, die Augen halb offen und mit klaffendem Mund wie ein
gestrandeter Fisch. Jemand hatte versucht, dem toten Kaufmann die
Augen zu schließen, und da es nicht gelungen war, hatte man
eine Münze auf jedes Lid gelegt. Eine war heruntergefallen,
und Sir Thomas starrte blicklos zur Decke.
    Zu Lebzeiten
mußte er ein gutaussehender Mann gewesen sein mit seinem
lohfarbenen Haar, dem scharfgeschnittenen Soldatengesicht und
seiner militärischen Erscheinung. Im Tode sah er grotesk
aus.
    Cranston schnupperte
an den Lippen des Mannes und drückte behutsam den kraftlos
daliegenden Kopf zurück. Athelstan sah fasziniert zu; er
bemerkte den leichten Purpurhauch im Gesicht des Toten. Cranston
drehte sich um und winkte ihn heran, damit er sich den Leichnam
genauer ansehe. Das tat er immer. Der Bruder hatte den Verdacht, es
machte Cranston Freude, ihn über Toten brüten zu lassen.
Je abstoßender, desto besser. Athelstan zog das Nachthemd
hoch und untersuchte auch den Körper, ohne auf das
Stöhnen und Ächzen hinter sich zu achten. Er sah sich
kurz um: Lady Isabella war zur Tür gegangen, Sir Richard hatte
den Arm um ihre Taille gelegt. Buckingham stand mit
halbgeschlossenen Augen da. Die beiden Kaufleute machten Gesichter,
als würde ihnen gleich schlecht werden. Draußen sang die
Galerie der Nachtigall, und dann kam Lady Ermengilde herein, ihre
Hände umklammerten den schwarzen Samtrock, und auf ihrem
Gesicht schimmerte Schweiß. Sie blickte Cranston
an.
    »Ist das
notwendig?« fragte sie. »Ist das wirklich
notwendig?« »Jawohl, Madam, das ist es!«
kläffte er zurück. »Bruder Athelstan, bist du
fertig?«
    Der Mönch
untersuchte den Leichnam vom Hals bis zu den Lenden. Keine Spur von
Gewalt, kein Schnitt. Dann die Hände. Sie waren sauber
geschrubbt, und die Nägel gepflegt. Der Leichnam war bereit
zum Einbalsamieren, ehe er dann in Tüchergewickelt, in den
Sarg gelegt und feierlich bestattet werden konnte.
    »Gift«,
bestätigte Athelstan. »Keine Spur von sonstiger Gewalt.
Kein Zeichen für einen Überfall.«
    Er nahm den Becher zur
Hand und schnupperte daran. Der Geruch war schwer, dunkel, feucht
und gefährlich. Er verstopfte ihm Mund und Nase. Athelstan
stellte den Becher rasch wieder hin und beugte sich über den
Toten; er roch am Mund des Mannes, dem der gleiche beißende,
faulig schwere Geruch entstieg.
    »Belladonna und
Arsen?« fragte Athelstan.
    Buckingham
nickte.
    »Eine
tödliche Verbindung«, bemerkte der Ordensbruder.
»Der einzige Trost ist, daß Sir Thomas wenige
Augenblicke, nachdem er den Becher hingestellt hatte, gestorben
sein muß. Sir John, habt Ihr genug gesehen?«
    Cranston nickte,
richtete sich auf und setzte sich auf einen Stuhl neben dem
Schachtisch. Sir Richard kam wieder herein.
    »Ihr habt nichts
Neues gefunden, Bruder?«
    Athelstan
schüttelte den Kopf. »Das kann ich auch für Sir
John sagen: Der Leichnam ist freigegeben und kann beerdigt werden,
wann immer Ihr es wünscht.« Er sah sich im Zimmer um.
»Es gibt hier keine anderen Türen?«
    »Keine«,
antwortete Sir Richard. »Sir Thomas hat sich aus
Sicherheitsgründen für diesen Raum entschieden.« Er
deutete auf die Truhen. »Sie enthalten Gold,
Schuldverschreibungen und Schriftstücke.«
    »Und Ihr habt
alles durchgesehen?«
    »Selbstverständlich.«
    »Habt Ihr etwas
gefunden, was Bramptons merkwürdiges Benehmen vielleicht
erklären könnte? Einen Grund dafür, daß er die
Unterlagen seines Herrn durchwühlte?«
    Sir Richard
schüttelte den Kopf. »Nichts. Ein paar Darlehen an
ziemlich mächtige Adelige und ein paar Bischöfe, die es
besser hätten wissen sollen, aber weiter
nichts.«
    Athelstan ließ
den Blick noch einmal durch das Schlafgemach wandern und
betrachtete die erlesen schönen Schnitzereien an den vier
Bettpfosten mit ihren gewundenen Schlangen und anderen Symbolen.
Ein luxuriöses Gemach, aber nicht überladen. Er tippte
sacht mit der Sandale auf den Fußboden. Dem Klang nach war er
dick und schwer. Keine Falltüren.
    »Hatte Sir
Thomas ein

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