Die Galerie der Nachtigallen
duftenden Pflanzen. Ein schmuddeliges Weib
brachte einen kleinen Tisch, auf den Athelstan sein Schreibtablett
legen konnte und der natürlich auch Platz für einen Krug
Wein und zwei Becher bot; Athelstan allerdings schüttelte den
Kopf und hat um etwas Wasser. So saßen sie da und genossen
den Blumenduft und die Kühle nach dem staubigen Ritt durch die
Stadt.
»Hier
könnte ich den ganzen Tag bleiben.« Athelstan lehnte
sich an die Mauer. »So ruhig, so friedlich.«
»Du wärest
wohl lieber wieder in deinem Kloster?« Athelstan
lächelte. »Das habe ich nicht gesagt.«
»Aber deine
Arbeit gefällt dir nicht?«
»Auch das habe
ich nicht gesagt.« Athelstan wandte sich um und sah Cranston
an; das Antlitz des fetten Coroners war von Schweißperlen
bedeckt wie Tautropfen. »Gefällt Euch denn die Eure, Sir
John? Die Morde, die Betrügereien, die Lügen? Erinnert
Ihr Euch«, fuhr er fort, »wie ich einmal Bartholomew
den Engländer zitiert habe?«
Cranston machte ein
erwartungsvolles Gesicht.
»Er hat ein Buch
mit dem Titel Die Natur der Dinge verfaßt. Darin
beschreibt er den Planeten Saturn als kalt wie Eis, finster wie die
Nacht und bösartig wie Satan. Und er behauptet, dieser Planet
regiere die mörderischen Absichten des Menschen.«
Athelstan kniff die Augen zusammen und beobachtete die Bienen, die
eine üppig blühende Rose umsummten. »Ich glaube
oft, er regiert auch die meinen. Ihr habt gehört, wie
Fortescue von meinem Bruder sprach?« Cranston
nickte.
»Mein Vater
besaß einen blühenden Bauernhof im Süden, in
Sussex. Ich war für ein frommes Leben bestimmt, und mein
Bruder sollte den Acker bestellen. Nun führte eine
Straße an unserem Hof vorbei zur Küste. Wir sahen immer
wieder die Soldaten und Bogenschützen auf ihrem Marsch zum
Hafen, wo sie nach Frankreich übersetzten, und dann sahen wir
sie zurückkehren, beladen mit Kriegsbeute. Wir hörten
Legenden und romantische Geschichten von Rittern in schimmernder
Rüstung, von Schlachtrössern, die majestätisch
über grüne Felder zogen. Eines Tages im Frühling
verließ ich mein Noviziat und kam zum Hof zurück. Dem
nächsten Trupp Soldaten, der vorüberzog, schlossen wir,
mein Bruder und ich, uns an. Wir schifften uns in Dover ein,
landeten in Harfleur und zogen mit einer der vielen Banden, die
plündernd Frankreich durchstreiften.« Athelstan starrte
zum Himmel hinauf. »Wir standen unter dem Befehl des
Schwarzen Prinzen und seines Generals Walter de Manny. Unsere
Träume starben bald. Wir waren keine edlen Ritter, keine
majestätische Armee, die sich an Regeln hielt. Wir begingen
grauenhafte Taten, plünderten Städte und brannten sie
nieder, schlugen Frauen und Kinder tot. Und eines Tages wurden mein
Bruder und ich, die wir als Bogenschützen dienten, von einer
Schar französischer Berittener vor einer Stadt
überrascht; wir wollten gerade unsere Stellung beziehen und
wie üblich Befestigungen in den Boden rammen, aber die
Franzosen griffen früher an, als wir dachten. Plötzlich
waren sie unter uns, hauten und stachen und
töteten.«
Athelstan suchte sich
zu fassen, ehe er fortfuhr.
»Als es vorbei
war, lebte mein Bruder nicht mehr, und ich war um hundert Jahre
gealtert. Ich kann es Euch ruhig erzählen, Cranston. Ich
kehrte nach Hause zurück. Das Gesicht meines Vaters werde ich
nie vergessen. So hatte ich ihn noch nicht gesehen. Er starrte mich
nur an. Und meine Mutter? Sie kauerte in einer Ecke und schluchzte.
Ich glaube, sie hörte nicht mehr auf zu weinen, bis sie starb.
Und mein Vater folgte ihr bald darauf ins Grab. Ich kehrte zu
meinem Orden zurück. Oh, sie nahmen mich auf, aber das Leben
war hart. Ich mußte im stillen und öffentlich Buße
tun und das feierliche Gelübde ablegen, nach meiner Ordination
jede Pflicht auf mich zu nehmen, die meine Oberen mir
auferlegten.«
Athelstan lachte
schnaubend auf und beugte sich mit verschränkten Armen nach
vorn, als redete er mit sich selbst und hätte vergessen,
daß der Coroner neben ihm saß. »Jede Pflicht!
Hartes Studium und die niedrigsten Arbeiten, die das Haus zu bieten
hatte: Kloaken säubern, Gräben graben - und nach der
Ordination: Geh hierhin, geh dorthin! Schließlich
protestierte ich. Da machte der Pater Prior mit mir einen
Spaziergang über die Wiesen und sagte, ich müsse mich in
einer letzten Aufgabe beweisen.«
Er lehnte sich wieder
an die Mauer.
»Und meine
letzte Aufgabe war die Pfarrei St. Erconwald in Southwark.«
Er starrte Cranston an. »Mein Pater
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