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Die Galerie der Nachtigallen

Die Galerie der Nachtigallen

Titel: Die Galerie der Nachtigallen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Harding
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dem Dachboden
des Hauses in der Cheapside aufgehängt hat.«
    »Du hast also
nachgedacht, Bruder?«
    »Coroner, ich
höre niemals damit auf.«
    »Na, dann
los!«
    »Sir John, wir
könnten hierbleiben und unsere Angelegenheit
erörtern.«
    Cranston drehte sich
kopfschüttelnd um. »Hier? Wo jede kleine Rotznase von
Southwark dauernd an deine Tür klopfen und dich mit ihren
Klagen behelligen kann? O nein, Bruder. Der >Bär und
Knüppel< ist erst der halbe Weg. Von dort geht es weiter
nach Newgate und vielleicht noch woanders hin.«
    Mit diesen Worten
stapfte er hinaus. Athelstan flehte in einem kurzen Stoßgebet
um Geduld, bekreuzigte sich und folgte. Cranston saß schon zu
Pferde, er beobachtete ihn. »Willst du deine Tür nicht
abschließen?« fragte er.
    »Wozu?«
fragte Athelstan zurück. »Wenn ich es tue, werden Diebe
einbrechen, weil sie denken, im Haus sei etwas
Wertvolles.«
    Cranston schnaubte ob
der offensichtlichen Dummheit des Ordensbruders. Er wendete sein
Pferd und ritt voran, hinaus in die Gassen von Southwark. Eine
Horde kleiner Jungen erkannte Sir John; sie folgten ihnen von ferne
und spotteten, Athelstans Beschwörungen zum Trotz, lauthals
über die Leibesfülle des Coroners. Garth, der
Holzschneider, der auch den Totenkarren durch die Straßen
fuhr, hockte vor der Schänke und trank und stimmte in das
johlende Spottgeschrei ein.
    »Sir John
Cranston!« schrie er und klopfte sich auf den eigenen runden
Bauch. »Ihr müßt schwanger sein. Was wird’s
denn - ein Junge oder ein Mädchen?«
    Das war zuviel
für den Coroner. Er zügelte sein Pferd und funkelte
seinen grinsenden Peiniger an. »Wenn ich von dir schwanger
wäre«, brüllte er, »dann würde es
wahrscheinlich ein verdammt dicker Berberaffe!«
    Und in dem
ausgelassenen Gelächter, das auf diese Entgegnung folgte,
ritten Athelstan und Cranston auf die London Bridge zu. Ungehindert
überquerten sie die Brücke, und Athelstan lächelte,
als sie durch das Tor auf der anderen Seite zur Fish Hill Street
kamen. Er überlegte, wie es dem kleinen Mann im Torhaus wohl
gehen mochte, dachte an die Schädel und beschloß, diese
Bekanntschaft lieber nicht zu vertiefen.
    Der schöne Tag
lockte die Menschen in Scharen nach London; Pagen, Junker und
Knappen, die ihre Ritter nach Norden zum großen Pferdemarkt
in Smithfield begleiteten, in dessen Gefolge Turniere und
Wettkämpfe stattfinden würden. Die Straßen waren
voller Männer mit Helm und Waffen. Mächtige
Schlachtrösser, mit Schabracken in allen Farben und
furchterregendem Kriegsschmuck ausstaffiert, zogen
majestätisch über den Fish Hill. Hoch im Sattel
saßen die Ritter, prachtvoll anzusehen in ihren farbenfrohen
Umhängen. Ihre schlitzäugigen Helme baumelten an den
Sattelhörnern, und Junker trugen Lanzen mit flatternden
Wimpeln vor ihnen her. Scharen von anderen folgten zu Fuß:
das Gefolge großer Lords in bunter Livree und junger Gecken in leuchtender
französischer Seide, die wie Schmetterlinge unter warmer Sonne
und blauem Himmel durch die Stadt schwärmten. Die
Schänken wimmelten von ihnen, und ihre bunten Kleider hoben
sich ab von den schmutzigen Lederschürzen der Schmiede und den
kurzen Wämsern der Lehrburschen mit ihren
Mützen.
    Als Cranston und
Athelstan in die Cheapside einbogen, sahen sie, daß die
festliche Stimmung sich auch hier ausgebreitet hatte. Stände
waren aufgebaut worden, und Vermummte führten Mirakelspiele
auf. Männer brüllten sich heiser in Hahnen- und
Hundekämpfen und wütenden Schlachten zwischen
Wildschweinen und räudigen Bären. Die Mistkarren waren in
der Menge steckengeblieben, und überall türmten sich
Berge von Müll und Abfall, über denen die Fliegen in
dichten schwarzen Wolken wimmelten.
    »Um Gottes
willen«, brummte Cranston. »Komm,
Athelstan.«
    Sie mußten
absteigen und sich durch das Gedränge zwängen, vorbei an
Wasserleitung und Bleizisterne und durch eine enge Gasse, die zum
Wirtshaus >Bär und Knüppel< führte. Sie
stellten ihre Pferde unter, setzten sich aber nicht in den
Schankraum, sondern gingen in einen behaglichen Garten, der
dahinter lag. Es war ein abgeschiedener Ort mit
schachbrettförmigen Beeten, ein Quadrat, das durch schmale
Kieswege in vier Teile aufgeteilt war. Eine Hecke unterschiedlicher
Sträucher und Bäume umsäumte das Ganze,
Weißdorn, Liguster, Hecken-und andere Rosen, alle miteinander
verwachsen. Sie setzten sich im Schatten der Mauer auf
Rasenbänke, und ihr Blick ging über Hochbeete mit Ysop,
Lavendel und anderen

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