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Die Galerie der Nachtigallen

Die Galerie der Nachtigallen

Titel: Die Galerie der Nachtigallen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Harding
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er mitgeht.«
    Der Mönch kniete
nieder und kraulte den Kater zwischen den Ohren. Er sah auf und
blickte dem Rattenfänger in das faltige, von der teerschwarzen
Lederhaube umrahmte Gesicht.
    »Der Kater ist
ein Söldner. Wenn du ihn mitnimmst, kommt er heute abend
zurück.«
    Bonaventura pflichtete
ihm bei, streckte sich und wanderte zu seinem Lieblingsplatz am
Fuße der Säule.
    Als Ranulf gegangen
war, setzte Athelstan sich auf die Altarstufen, und seine Gedanken
kehrten zu den Leichen zurück, die er gesehen hatte: Vechey,
der kalt zwischen den greulichen Köpfen auf dem Torturm der
London Bridge lag; Brampton, in schmutziges Leinen gewickelt im
Totenhaus von St. Mary Le Bow; Springall, allein unter der ledernen
Decke in dem großen vierpfostigen Bett in seiner Villa. Was
hatte er bis jetzt übersehen? Er dachte an den sterbenden Hob
in seiner Hütte, und an dessen Frau, die Angst vor der Zukunft
hatte. Würde er wohl ein wenig Geld für sie auftreiben
können? Er hob die Hände vor das Gesicht und roch das
Chrisam, mit dem er Hob gesalbt hatte, an Kopf und Händen,
Brust und Füßen ... Die Füße!
    Athelstan sprang auf.
Jawohl, das war es! Bramptons Füße. Der Diener hatte
keinen Selbstmord begangen. Das war unmöglich. Er war ermordet
worden.
    Athelstan schaute sich
in der Kirche um und wünschte sich Cranston herbei. Die Sonne
strahlte durch die verglasten Fenster, und Bonaventura räkelte
sich entspannt nach erfolgreicher nächtlicher Jagd. Athelstan
wandte dem vertrauten, heimischen Anblick den Rücken zu und
kniete vor dem Altar nieder, den Blick auf das rote Licht
gerichtet.
    »O Gott«,
betete er, »hilf mir jetzt. Bitte!«
    *
    In seinem Privatgemach
in seinem Haus in der Poultry war auch Sir John in Gedanken
versunken, als er sich, die Feder in der Hand, über seinen
Schreibtisch beugte. Er war vertieft in die große Liebe
seines Lebens: Er schrieb eine Abhandlung über die
Aufrechterhaltung des Rechtes in der Stadt London. Cranston liebte
das Recht, und seit seiner Ernennung zum Coroner entwarf er eigene
Vorschläge zu einer Gesetzesreform. In einem Buch, gebunden in
feinstes Kalbsleder, würde er sie schließlich einem
mächtigen Patron vorlegen, der- das war Cranstons Traum -
darin die Lösung aller Probleme Londons finden
würde.
    Sir john liebte die
Stadt; er kannte jeden Stein, jede Kirche, jede Straße, ja,
jedes Gäßchen. Von der Geschichte Londons fasziniert,
bettelte er ständig bei den Mönchen der Westminsterabtei
und den Kanzleibeamten des Towers, ihm Zugang zu Manuskripten und
Dokumenten zu gewähren. Manche nahm er mit nach Hause und
schrieb sie sorgfältig ab, ehe er sie in ihren ledernen
Hüllen zurückbrachte. In gewissem Sinne wäre
Cranston am liebsten mit dieser Arbeit niemals fertig geworden; er
glaubte, daß seine Untersuchung von Nutzen sein werde, aber
insgeheim sah er sie auch als Fluchtmöglichkeit. Niemand
wußte davon. Niemand außer Maude
natürlich.   
    Cranston legte die
Feder aus der Hand, und eine Woge des Selbstmitleids durchflutete
seinen mächtigen Körper. Er schaute zum Fenster hinaus
und hörte das Geschrei von der Cheapside, das Rattern der
Karren, das Getrappel der Pferde, die nach Smithfield und zum
Pferdemarkt trotteten. Er trank zuviel, das wußte er. Er
mußte aufhören damit, mußte sein leben
ändern. Tugendhaft klopfte er sich auf den mächtigen
Bauch. Nicht heute. Morgen vielleicht. Er fragte sich, was
Athelstan treiben mochte, und überlegte, ob er nicht mit dem
Ordensbruder sprechen, ihm sein Herz öffnen und seine
Geheimnisse anvertrauen sollte, um dem Meer des Jammers zu
entrinnen, in dem sein Körper badete und sein Geist
ertrank.
    Maude kam herein, und
Cranston sah sie an wie ein begossener Pudel, denn selbst im Bett,
beim Turnier der Liebe, versagte er zusehends. Er beobachtete seine
Frau aus dem Augenwinkel, als sie geschäftig umherging und
Wäsche stapelte, Truhen auf- und zuklappte, Kerzen in die
Halter steckte. Er betrachtete ihre gefällige Gestalt, die
vollen Brüste, das klare Antlitz, die strahlenden Augen, das
bereitwillige Lächeln, ihren leicht wiegenden Gang. Cranston
stand auf. Vielleicht war nicht alles in Ordnung, aber so schlimm
war es nun auch wieder nicht. Er ging zu seiner Frau, umarmte sie
und zog sie an sich.
    »Oh, Sir
John!« wisperte sie und schmiegte sich an ihn.
»Verriegle die Tür«, murmelte er gepreßt.
»Verriegle die Tür. Ich will dir etwas
zeigen.«       
    Sie drehte sich mit
runden Augen um. »Ich

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