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Die Galerie der Nachtigallen

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Titel: Die Galerie der Nachtigallen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Harding
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glaube fast, ich habe es schon einmal
gesehen.«
    Dennoch wurde die
Tür verschlossen und das Fenster zugeschoben, und Cranston
bewies - zu seiner eigenen Befriedigung wie auch zu der seiner Frau
-, daß das Alter doch noch nicht alle Säfte aus seinem
Körper gesogen hatte. Als sie ineinander verschlungen in dem
großen Bett lagen und Maude beinahe in Cranstons gewaltigen
Fettfalten versank, starrte Sir John zur Decke, rieb seine Wange am
Haar seiner Frau und hörte zu, wie sie über dies und
jenes plauderte. »Was?« Plötzlich schob er sie
heftig von sich.
    »John, was ist
los?«
    »Was hast du
gerade gesagt?«
    Maude zuckte die
Achseln. »Ich sprach von Agnes, der Frau von David, dem
Fährmann. Du mietest ihn doch oft, damit er uns über den
Fluß setzt. Nun, sie sagt, die Bootsleute und Dockarbeiter
setzen eine Bittschrift auf und möchten, daß du sie dir
ansiehst. Sie wollen, daß ein paar der Brückenbögen
verbreitert und die Pfahlwehren versetzt werden. Der Wasserstand
ist bei Flut so hoch, daß es gefährlich wird; die Boote
werden gegen Stege und Pfeiler geworfen. Es sind schon Menschen
ertrunken. Auch Kinder!«
    Cranston setzte sich
im Bett auf, und sein Bauch bebte vor Freude.
    »Das war es, was
nicht stimmte! Jetzt weiß ich, was ich an der Brücke
gesehen habe!« Er umarmte seine überraschte Frau und
küßte sie leidenschaftlich auf Stirn und Wangen.
»Maude, was würde ich nur ohne dich anfangen? Du und
deine Geschichten! Aber natürlich! Ich frage mich nur, ob
Athelstan darauf gekommen ist...«
    Seinen Massen zum
Trotz, sprang Cranston aus dem Bett. »Komm, Maude! Komm,
Weib, schnell! Eine frische Hose, ein reines Hemd! Einen Becher
Roten, eine Fleischpastete und einen Laib Weißbrot! Ich
muß fort! Also los!«
    Lady Maude war nicht
minder flink auf den Beinen, und erbost funkelte sie ihren Gatten
an. Gerade noch hatte er sie umarmt und leidenschaftlich
geküßt, und jetzt sprang er in der Schlafkammer umher
wie ein junger Geck und wollte ausgehen. Trotzdem eilte sie hurtig
umher, zog Kleid und Kittel an und murrte, daß - wenn andere
Leute sie nicht gestört hätten - schon längst alles
fertig wäre.
    Sir John kümmerte
sich nicht darum und zog sich hastig an. Jetzt wußte er,
daß Vechey ermordet worden war. Ermordet worden sein
mußte. Der Pegelstand des Flusses würde das beweisen. Er
würde den verdammten Ordensbruder von seiner Sternguckerei
losreißen, und zusammen würden sie zum Hause Springall
gehen und dieses Mal Antworten auf ihre Fragen
verlangen.

Kapitel 5
    Als Athelstan um die
Kirche herumkam, sah er den Coroner neben Philomel stehen. Das alte
Roß war gesattelt und marschbereit. Cranston
grinste.
    »Guten Morgen,
Bruder!« brüllte er so laut, daß die halbe Pfarrei
es hören konnte. »Dein Pferd ist bereit, deine
Satteltaschen sind gepackt.« Er hielt sie in die Höhe.
»Federkiele, Griffel, Schreibtablett, Pergament - und ich
habe dafür gesorgt, daß das Tintenhorn gut verschlossen
ist; wenn es also ausfließt, mache nicht mich dafür
verantwortlich.« Athelstan war immer noch niedergeschlagen
nach seinem Besuch bei Hobs Frau; er ignorierte den Coroner und
ging an ihm vorbei in sein kleines Zweizimmerhaus. Cranston folgte
ihm wie ein unerwünschter Windstoß; er rauschte herein
und füllte den Raum mit seiner Masse.
    »Wirklich,
Bruder«, dröhnte er und sah sich um, »du solltest
ein bißchen komfortabler wohnen. Hast du Wein?«
Athelstan deutete auf einen irdenen Krug und sah
genüßlich zu, wie Cranston in tiefen Zügen trank,
dunkelrot anlief und zur Tür stürzte, um
auszuspucken.
    »Um Gottes
willen, Mann! Das ist ja mehr Wasser als Wein!« fauchte
er.
    »St. Dominikus
und mein Orden«, versetzte Athelstan, »haben in ihrer
Weisheit entschieden, daß Wein in seiner vollen Stärke
nicht gut für Ordensleute ist«. Er klopfte Cranston auf
den Bauch. »Vielleicht nicht einmal für die Coroner des
Königs ...«
    Cranston richtete sich
zu voller Größe auf und blinzelte Athelstan an.
»Mein Befehl ist, Brüderlein, daß du mich
zur Cheapside
begleitest, zur Schänke >Bär und Knüppel<. Du
hast davon gehört?«
    Athelstan
schüttelte den Kopf’, und sein Mut verließ ihn.
Cranston grinste verschmitzt.
    »Wir werden uns
dort hinsetzen. Ich werde nüchtern bleiben und dir
erzählen, wie Vechey ermordet wurde. Er hat nämlich
keinen Selbstmord begangen.«
    »Und ich, Lord
Coroner, werde Euch erzählen, wieso Edward Brampton,
Majordomus bei Sir Thomas Springall, sich nicht auf

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