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Die Galerie der Nachtigallen

Die Galerie der Nachtigallen

Titel: Die Galerie der Nachtigallen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Harding
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hochgewachsene, hagere Kaufmann
war nervös und fühlte sich offensichtlich unbehaglich;
seine Hand flatterte beständig zum Munde oder betastete sein
fettiges Haar. Er murmelte eine Entschuldigung und setzte sich
neben den Priester. Anscheinend war er nicht fähig, dem
Coroner in die Augen zu sehen; er wagte nicht einmal, einen Blick
in seine Richtung zu werfen.
    »Sir
John«, begann Sir Richard leise, »Ihr sagt, Brampton
und Vechey seien ermordet worden? Aber wie? Warum? Brampton mag ein
stiller Mann gewesen sein, aber ich kann mir nicht vorstellen,
daß er sich in einem Haus voller Menschen auf den Dachboden
treiben, eine Schlinge um den Hals legen und aufhängen
läßt. Und das gleiche gilt für Vechey.« Er
sah den Tisch entlang zu Allingham. »Stephen, da würdet
Ihr mir doch zustimmen, oder?«
    Der Angesprochene
blickte nicht auf, sondern nickte nur und murmelte etwas vor sich
hin.
    »Was habt Ihr
gesagt?« Cranston beugte sich vor. »Master Allingham,
Ihr habt etwas gesagt. Was war es?«
    Der Kaufmann rieb sich
die Hände, als wollte er sie waschen. »Es ist etwas
Böses in diesem Hause«, sagte er schließlich.
»Der Satan ist hier. Er steht in den Ecken, in stillen
Winkeln, und beobachtet uns. Ich glaube, der Coroner hat
recht.« Er hob den Kopf. Sein jammervolles Gesicht war bleich
und, wie Athelstan sah, tränennaß. »Vechey wurde
ermordet. Ich glaube, er wußte etwas.«
    »Sssch,
Mann!« rief Sir Richard. »Master Stephen, Ihr macht
Euch zuviel Kopfzerbrechen. Ihr verbringt zu viele Stunden auf den
Knien in der Kirche.«
    »Was?«
Athelstan legte die Feder aus der Hand. »Was wußte
Vechey?«
    Der hagere Kaufmann
beugte sich vor; sein Gesicht war verzerrt und die Augen
haßerfüllt.
    »Ich weiß
es nicht«, zischte er. »Und wenn ich es
wüßte, würde ich es Euch nicht sagen, Bruder. Was
könnt Ihr da tun?«
    »Bei Eurer Treue
zum König«, brüllte Cranston unvermittelt,
»frage ich Euch: Wißt Ihr etwas über die
Todesfälle, die sich in diesem Haushalt ereignet
haben?«
    »Nein«,
knirschte Allingham. »Sie sind ein Geheimnis. Aber Sir Thomas
liebte Rätsel und seine eigenen geheimen Späße. Es
muß etwas hier im Hause geben, das alles
erklärt.«
    »Wovon redet
Ihr, Mann?« fragte Sir Richard.
    Aber Allingham rieb
sich nur unbehaglich die Wange. »Ich habe genug
gesagt«, murmelte er und verstummte dann vollends.
    »Wenn das so
ist«, begann Cranston wieder, »wollen wir kurz
zusammenfassen, was wir eigentlich wissen. Verbessert mich, wenn
ich mich irre - aber Sir Thomas Springall war Ratsherr und
Goldschmied. Am Abend vor seinem Tod gab er ein großes
Bankett, einen Festschmaus für seinen Haushalt, und lud dazu
auch den Oberrichter Fortescue ein. Er trank tüchtig,
ja?«
    Lady Isabella nickte,
und ihre schönen Augen waren unverwandt auf Cranston
gerichtet. Sir Richard hingegen verfolgte, wie Athelstans Federkiel
über das Pergament huschte. »Das Bankett endete«,
fuhr Cranston fort. »Sir Thomas zog sich zurück. Ihr,
Sir Richard, wünschtet ihm eine gute Nacht, und Lady Isabella
schickte ihre Zofe, um zu fragen, ob er noch einen Wunsch
habe.«
    Beide nickten
bestätigend.
    »Ihr, Dame
Ermengilde, hörtet, wie Brampton während des Mahles einen
Becher Wein in Sir Thomas’ Gemach brachte?«
    »Das habe ich
nicht nur gehört«, gab sie zurück. »Ich habe
meine Tür geöffnet und ihn gesehen. Dann ging er
hinunter.«
    »Wie war er
gekleidet?«
    »In Wams und
Rock.«
    »Und was trug er
an den Füßen?«
    »Die
üblichen weichen Stiefel, die er immer
anhatte.«
    »Warum erinnert
Ihr Euch daran?«
    »Brampton war
ein stiller Mann«, antwortete Dame Ermengilde, und ihre
Stimme wurde weicher. »Ein guter Majordomus. Er bewegte sich
ruhig und leise, wie ein guter Diener.«
    »Und wie
erschien er Euch?«
    »Wie immer. Ein
bißchen blaß. Er merkte, daß ich meine Tür
geöffnet hatte, sah mich aber nicht an. Er ging die Treppe
hinunter - nein! Er ging durch die andere Galerie zum zweiten Stock
hinauf, wo seine Kammer liegt.«
    »Habt Ihr ihn
noch einmal gesehen?«
    »Nein.«
    »Und Ihr sagt,
nur Sir Thomas und dann Sir Richard und Lady Isabellas Zofe sind
durch die Galerie der Nachtigall gegangen?«
    »Ja. Dessen bin
ich sicher.«
    »Und Ihr seid
auch sicher, daß Sir Thomas in der Nacht nicht gestört
wurde?«
    »Ja, das sagte
ich Euch doch, Mann!« schnappte sie. »Ich habe einen
leichten Schlaf. Ich habe niemanden gehört.«
    »Und Ihr, Pater
Crispin?« Cranston lehnte sich zur Seite, um das

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