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Die Galerie der Nachtigallen

Die Galerie der Nachtigallen

Titel: Die Galerie der Nachtigallen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Harding
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hellichter Tag, waren Gassen und Gossen im
Schatten der ringsum aufragenden Häuser in ein trübes
Zwielicht getaucht. Eine stille, unheimliche Gegend, die
bedrohlicher wirkte, je weiter sie kamen. Die Häuser waren
jahrhunderte alt; baufällig und ungepflegt duckten sie sich
dicht aneinander, daß man fast den Sommerhimmel nicht mehr
sah. Die Straßen waren schmutzig, Kot und Schlamm
verkrusteten ihre Stiefel und Sandalen. Die meisten
Hauseingänge gähnten leer. Nur hin und wieder kam ein
Schatten herausgehuscht, der sich aber gleich wieder
zurückzog, wenn er Cranstons langes Schwert gewahrte.
Mirabilis wandte sich bald hierhin, bald dorthin, und Athelstan und
Cranston hatten Mühe, mit ihm Schritt zu halten.
Plötzlich blieb er stehen und deutete in eine Gasse, die wie
ein langer, dunkler Korridor vor ihnen
lag.      
    »Piper
Street«, flüsterte er. »Lebt wohl,
Sir!«
    Und ehe Cranston etwas
einwenden konnte, drückte Doctor Mirabilis sich in eine andere
Gasse und war im Handumdrehen verschwunden.
    Athelstan und Cranston
gingen vorsichtig die Piper Street hinunter. Die Häuser zu
beiden Seiten waren vernagelt und verrammelt. Endlich kamen sie zu
dem, auf das Doctor Mirabilis’ Beschreibung von Simon
Foremans Haus paßte. An einer langen Eschenholzstange hing
ein großes, verwittertes Schild.
    Das
>Nachtschattenhaus< war durch einen gepflasterten Hof von der
Straße getrennt, und ein Eisengitter verhinderte den Zutritt.
Sogar bei Tageslicht strahlte es düsteres Mißtrauen aus,
als hätte es sich am liebsten von den Nachbarhäusern
zurückgezogen und in den Schatten geduckt. Das Haus hatte mehr
Ähnlichkeit mit einem Gefängnis als mit einem Wohnhaus;
die Fenster waren vergittert und die schwere Tür verriegelt
und mit Eisenbändern verstärkt. Cranston klopfte, doch
nichts rührte sich, und er hämmerte noch einmal an die
Tür. Hinter ihnen heulte ein Hund, und eine andere
Haustür öffnete und schloß sich gleich
wieder.
    Als sie zur
Einmündung der Gasse schauten, sahen sie dort schattenhafte
Gestalten. Cranston klopfte ein drittesmal; Athelstan
unterstützte ihn und hieb mit der Faust gegen die Tür.
Nun hörte man leise Schritte, Ketten wurden gelöst und
Riegel zurückgeschoben. Die Tür schwang auf, und dahinter
erschien ein unauffälliger Mann. Er war von mittlerer Statur
und sahnig weißer Gesichtsfarbe, und seine Augen blickten
heiter. Unablässig kratzte er sich den kahlen Schädel.
Mirabilis hatte wie ein Magier ausgesehen; Foreman wirkte dagegen
wie ein Landpfarrer in seiner Barchentjacke, der Kniehose und den
weichen Filzpantoffeln. Wie der Wirt einer fröhlichen
Schänke forderte er sie nun auf, ihre Pferde anzubinden, und
bat sie hinein. Drinnen sollten sie an einem Tisch Platz nehmen und
warten, bis er in einer verborgenen Kammer irgendwelche
Angelegenheiten zu Ende gebracht hatte. So setzten sie sich und
schauten sich um. Das Zimmer war überraschend ordentlich,
aufgeräumt und gepflegt. Im Kamin brannte munter ein Feuer.
Überall standen Tische und Stühle, manche mit gesteppten
Kissen belegt, und die Wände waren von Borden gesäumt,
auf denen säuberlich beschriftete Arzneigläser standen.
Athelstan studierte die Gläser und stellte fest, daß es
sich um milde Arzneien gegen Fieber, Gliederreißen und andere
Schmerzen handelte. Sie enthielten Kräuter wie Ysop,
zerstoßene Ahornblätter und Moos - nichts, was man nicht
überall in der Stadt bei jedem beliebigen Apotheker hätte
kaufen können. Schließlich kam Foreman zurück; er
zog sich einen Stuhl heran und setzte sich zu ihnen wie ein
gütiger Onkel, bereit, sich eine Geschichte anzuhören
oder ein lustiges Märchen zu erzählen.
    »Nun, Ihr
Herren, wer seid Ihr?«
    »Sir John
Cranston, Coroner, und mein Schreiber, Bruder Athelstan.« Der
Mund des Mannes lächelte, aber seine Augen wurden hart und
wachsam.
    »Und Ihr wollt
etwas kaufen?«
    »Jawohl. Rotes
Arsen und Belladonna. Das verkauft Ihr doch?«
    Eine unglaubliche
Verwandlung ging mit Foreman vor sich. Die heitere Maske fiel, und
sein Blick wurde noch wachsamer. Er richtete sich auf und schaute
sich nervös um. Athelstan spürte, daß er sie
niemals eingelassen hätte, wenn er vorher gewußt
hätte, wer sie waren, oder daß er doch zuvor wenigstens
versteckt hätte, was immer er im Hause hatte. »Nun,
Sir?« beharrte Cranston. »Habt Ihr solches Gift?«
Foreman schüttelte den Kopf, ohne den Coroner aus den Augen zu
lassen.
    »Sir, ich bin
Apotheker. Wenn Ihr eine Medizin

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