Die Galerie der Nachtigallen
Gesicht des
jungen Geistlichen besser sehen zu können. »Ihr seid am
nächsten Morgen hinauf. Dame Ermengilde hat Euch durch den
Nachtigallenkorridor gehen hören. Als es Euch nicht gelang,
Sir Thomas zu wecken, holtet Ihr Sir Richard, dessen Schlafgemach
im Nachbargang liegt. Sir Richard kam mit Euch zurück. Noch
immer konntet Ihr Sir Thomas nicht wecken, und so befahlt Ihr den
Dienern, die Tür aufzubrechen?«
»Ja.« Der
Priester nickte, und seine Augen leuchteten. »Genau so habe
ich es getan.«
»Und als das
Zimmer aufgebrochen wurde, waren alle hier Anwesenden zugegen ...?
Ihr gingt also hinein. Sir Thomas lag ausgestreckt im Bett, und ein
Giftbecher stand neben ihm auf dem Tisch. Niemand sagte etwas
...«
»Bis auf
Vechey«, unterbrach Allingham. »Er sagte: >Es waren
nur einunddreißig!<«
»Wißt Ihr,
was er damit meinte?« fragte Cranston ihn.
»Nein. Ich
wünschte bei Gott, ich wüßte es.«
»Man schickte
also nach dem Arzt«, fuhr Cranston fort. »Master de
Troyes. Er kam. Er untersuchte Sir Thomas’ Leichnam,
erklärte ihn für vergiftet und behauptete, das Gift sei
in den inzwischen halbgeleerten Becher Wein gegeben worden, der
neben Sir Thomas’ Bett stand. Nun war Brampton spät abends gesehen
worden, wie er mit einem Becher Wein in Sir Thomas’
Schlafgemach gegangen war; danach hatte ihn niemand mehr lebend
gesehen. Nachdem Sir Thomas tot aufgefunden worden war, entdeckte
man Brampton an einem Balken erhängt auf dem Dachboden. Master
Vechey war hier, als Bruder Athelstan und ich zum erstenmal in
dieses Haus kamen. Am späten Abend desselben Tages ging er
aus, Gott weiß, wohin, und dann fand man ihn an einem Balken
unter der London Bridge hängend. Nun haben wir Beweise —
die wir vorläufig für uns behalten werden - dafür,
daß weder Brampton noch Vechey Selbstmord begangen haben. Was
jedoch das Geheimnis um den Tod Eures Gemahls angeht, Lady
Isabella, so sind wir noch nicht weitergekommen.«
»Trotzdem
könnte es Brampton gewesen sein.« Buckingham hatte das
Wort ergriffen. Cranston sah ihn an.
»Wie kommt Ihr
darauf?«
Der Schreiber zuckte
die Achseln. »Ich nehme an, Ihr habt Eure Gründe, wenn
Ihr behauptet, daß Brampton nicht von eigener Hand gestorben
ist, aber das heißt ja nicht, daß er unschuldig ist an
Sir Thomas’ Tod.«
Cranston grinste.
»Gut gedacht, Master Schreiber. Ihr würdet einen
tüchtigen Advokaten abgeben. Ich werde es nicht
vergessen.«
An der Tür
entstand plötzlich Unruhe. Ein Diener kam hereingestürzt,
beugte sich über Sir Richards Schulter und tuschelte ihm etwas
ins Ohr. Der Kaufmann hob den Kopf.
»Sir John, da
ist ein Bote, ein Gerichtssekretär, den der Sheriff schickt;
er wünscht mit Euch zu sprechen.«
»Ich werde ihn
empfangen, Sir Richard, wenn Ihr gestattet. Er soll
hereinkommen.«
Der
Gerichtssekretär, ein aufgeblasener junger Mann, kam
hereinstolziert. »Sir John, eine Botschaft des
Sheriffs.« Er sah in die Runde. »Sie betrifft Master
Vechey.«
»Ja«,
sagte Cranston. »Ihr könnt frei reden.«
»Er wurde in
einer Taverne unten am Fluß gesehen. Der Wirt in den
›Goldenen Schlüsseln‹ sagt, ein Mann, auf den
Vecheys Beschreibung paßt, habe spät abends dort
getrunken. Er sei dann mit einer jungen, rothaarigen Hure
losgezogen, die der Wirt nicht kannte.«
»Ist das
alles?« fragte Cranston.
»Jawohl, Sir
John.«
Cranston entließ
den Gerichtssekretär. Athelstan merkte, daß die Stimmung
der Anwesenden in der Halle sich besserte.
»Seht
Ihr!« rief Dame Ermengilde frohlockend. »Man hat Vechey
mit einer seiner Huren gesehen. Master Buckingham muß recht
haben. Brampton kann trotzdem meinen Sohn ermordet haben, und
Vecheys Tod hat vielleicht mit all dem überhaupt nichts zu
tun.«
Athelstan sah,
daß Cranston über die Neuigkeit nicht entzückt
war.
»Trotzdem«, bellte
dieser, »habe ich noch andere Fragen. Lady Isabella und Sir
Richard, ich muß Euch bitten, noch hierzubleiben. Sie anderen
mögen sich entfernen.«
Dame Ermengilde wollte
protestieren, aber ihr Sohn beugte sich über den Tisch und
berührte sanft ihr Handgelenk, während er ihr einen
bittenden Blick zuwarf. Sie erhob sich, schaute Cranston kurz und
verächtlich an und folgte den anderen hinaus. Sir John sah
ihnen nach.
»Lady
Isabella«, sagte er dann leise, »wart Ihr schon einmal
im Nachtschattenhaus in der Piper Street in der Gegend von
Whitefriars?«
»Noch
nie.«
»Und Ihr
wißt auch nichts von einem Apotheker namens
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