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Die Galerie der Nachtigallen

Die Galerie der Nachtigallen

Titel: Die Galerie der Nachtigallen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Harding
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hinter seinen Pfarrkindern. Als er
zurückkehrte, schien Benedicta zu weinen, so sehr zuckten ihre
Schultern. Aber als sie den Kopf hob, sah er, daß sie lachte.
Tränen rannen ihr übers Gesicht.
    »Du findest
unsere Pfarrversammlung lustig, Benedicta?«
    »Ja.« Er
bemerkte, wie leise und kultiviert ihre Stimme klang. »Ja,
Pater, das tue ich. Ich meine ...« Sie spreizte die
Hände und kicherte wieder.   
    Athelstan sah sie
streng an, aber sie konnte ihre Heiterkeit nicht bezähmen.
Ihre Schultern bebten vor Lachen, und ihre Alabasterwangen
röteten sich. Auch Athelstan konnte ein Lächeln
schließlich nicht mehr unterdrücken.
    »Ich meine,
Cecilys Sehnsucht nach der Rolle der Jungfrau Maria!« fuhr
sie fort. »Und das Gesicht, das Watkins Weib gemacht
hat!« Sie lachte so ansteckend, daß Athelstan
mitlachte, und zum erstenmal seit seiner Ankunft in St. Erconwald
hallte das Kirchenschiff von Gelächter wider. Endlich fand
Benedicta die Fassung wieder.
    »Es schickt sich
nicht«, bemerkte sie, und in ihren Augen funkelte die
Heiterkeit, »daß eine Witwe und ihr Pfarrer in der
Kirche so laut über die Gemeinde lachen. Aber ich muß
sagen, daß ich noch nie in meinem kurzen Leben etwas so
Komisches erlebt habe. Wir müssen wirklich ein Kreuz für
Euch sein ...« 
    »Nein«,
antwortete Athelstan und setzte sich neben sie. »Kein
Kreuz.«
    »Was ist es
dann, Pater? Warum seid Ihr so traurig?« Athelstan starrte an
ihr vorbei auf das blau-rot-goldene Gemälde, das an der Wand
Gestalt annahm. Was ist mein Kreuz? dachte er. Eine mächtige
Bürde, eine wahre Todsünde des Fleisches mit kahlem
Schädel, pfiffigen braunen Augen und einem Gesicht, so rot wie
ein blutiger Lappen. Sir John Cranston, Lord vom dicken, fetten
Bauch, Meister der stämmigen Beine und eines Arsches, so
wuchtig, daß Athelstan ihn insgeheim den
»Roßzermalmer« nannte. Aber wie konnte er
Benedicta erklären, was es mit Cranston auf sich
hatte?
    »Nein, kein
Kreuz, Benedicta. Nichts- außer der Einsamkeit
vielleicht.«
    Er merkte
plötzlich, wie nah er ihr war. Sie erwiderte seinen Blick
ruhig. Ihr rabenschwarzes Haar quoll unter der Haube hervor. Ihr
Gesicht war so glatt. Er sah fasziniert den großzügigen
Mund und die Augen, so schön und dunkel wie die Nacht.
Unvermittelt hustete er und stand
auf.      
    »Du bist noch
geblieben, Benedicta. Wolltest du mich sprechen?«
    »Nein.«
Auch sie erhob sich, als spürte sie die jähe Kälte
zwischen ihnen. »Aber Ihr solltet wissen, daß Hob
gestorben ist. Ich war bei ihm zu Hause, ehe ich herkam und sah
seine Frau.«
    »Gott
schütze ihn«, flüsterte Athelstan. »Gott
schütze uns alle, Benedicta! Gott schütze uns
alle!«
    *
    Am nächsten Tag
vermied Athelstan jeden Gedanken an Sir John und die schrecklichen
Morde im Hause Springall. Statt dessen vertiefte er sich in seine
Aufgaben als Gemeindepfarrer. Der neue Almosenkasten wurde beim
Taufbrunnen aufgestellt und mit einem Schloß versehen. Er
versuchte, den Zwist zwischen der Hure und der Frau des
Müllsammlers zu schlichten, und erreichte auch
tatsächlich eine gewisse Einigung: Cecily würde die
Madonna spielen, vorausgesetzt, Watkins Weib könnte die Base
der heiligen Jungfrau sein, die heilige Elisabeth. Watkin
würde den stolzen Part des St. Georg übernehmen,
während Ranulf, der Rattenfänger, sich eifrig bereit
fand, das Kostüm des Drachen anzulegen.
    Es gab andere,
ernstere Dinge. Hob, der Totengräber, wurde am späten
Nachmittag bestattet, und Athelstan veranstaltete eine Sammlung; er
selbst gab der armen Witwe, was er konnte, und versprach ihr mehr,
sobald die Umstände es erlauben würden. Er schlief gut in
dieser Nacht, und in aller Frühe stand er auf und stieg die
feuchte, schimmelige Treppe im Kirchturm hinauf; oben sah er die
Sterne klar am Himmel stehen und studierte ihre Stellung
zueinander, bevor sie mit dem Morgengrauen
verblaßten.
    Am Vormittag war er
dann unten in der Kirche und bereitete den Leichnam von Meg aus
Four Lanes für das Begräbnis vor. Meg mit dem wallenden
schwarzen Haar, dem weißen Gesicht und einer Nase, so krumm
wie ein Adlerschnabel. Im Leben war sie keine Schönheit
gewesen, aber im Tode sah sie scheußlich aus; ihre fettigen
Locken fielen strähnig auf ihre schmutzigen Schultern. Ihr
Gesicht bestand aus Knochen, über denen die Haut sich spannte,
straff und durchscheinend wie ein Stück Stoff. Die hellen,
meergrünen Augen lagen jetzt stumpf und tief in ihren
Höhlen.
    Ihr Mund stand

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