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Die Galerie der Nachtigallen

Die Galerie der Nachtigallen

Titel: Die Galerie der Nachtigallen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Harding
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hatte. Dann machten sie sich auf den langsamen Ritt
hinunter zur London Bridge und hinüber zur Cheapside. Cranston
war allerbester Laune, unterstützt und befördert von
einem wundertätigen Weinschlauch, der niemals leer zu werden
schien. Athelstan wollte sich für seinen Anteil an dem Streit
vor ihrem letzten Auseinandergehen entschuldigen, aber der Coroner
winkte ab.
    »Nicht deine
Schuld, Bruder«, dröhnte er. »Nicht deine. Die
Säfte, und die Hitze des Tages ... Wir streiten alle mal.
Kommt in den besten Familien vor.«
    Und so ließen
sie die London Bridge hinter sich und näherten sich Fish
Street Hill, Athelstan betend und schimpfend, Cranston furzend und
im Sattel schwankend. Als der Wein schließlich doch zur Neige
ging, verfinsterte sich des Coroners Stimmung natürlich, und
er verkündete, daß er keinen Rattenfurz auf murrende
Mönche gebe.
    »Befehl ist
Befehl«, knurrte er und warf dem Ordensbruder einen finsteren
Blick zu, bevor er sich und die Pferde mit einer Schilderung des
Mahles unterhielt, das sein armes Weib für den kommenden
Sonntag bereitete.
    »Ein
regelrechtes Bankett«, verkündete er. »Eberkopf,
Schwan, Hirschbraten, Quittentorte, dicke Milch mit Apfelsahne
...«
    Athelstan hörte
nur mit halbem Ohr zu. Allingham war also tot. Er dachte an den
Kaufmann, lang, hager und kummervoll von Gestalt. Wie aufgebracht
er gewesen war bei ihrem letzten Besuch im Hause
Springall.
    Im Haus an der
Cheapside war Athelstan erstaunt, zu sehen, wie ruhig und
gefaßt Sir Richard und Lady Isabella waren. Er begriff
plötzlich, daß Cranstons Behauptung, Allingham sei
ermordet worden, im Grunde nur eine Vermutung war. Sir Richard
begrüßte sie höflich, und Lady Isabella stand an
seiner Seite. Sie war in dunkelblauen Samt gekleidet und trug eine
hohe weiße Leinenhaube auf dem Kopf. Sie berichtete, wie sie
zu Master Allinghams Kammer hinaufgegangen waren, die Tür
verriegelt vorgefunden und den Handwerkern im Hofe befohlen hatten,
die Tür aufzubrechen.   
    »Allingham lag
tot auf dem Bett; der Schlag oder ein Apoplexus hat ihn
getroffen«, stellte Sir Richard fest. »Wir wissen
nicht, wie es geschah. So schickten wir nach Pater Crispin.«
Er deutete auf den Priester, der neben der Tür zur Halle auf
einem Stuhl hockte. »Er untersuchte Allingham und hielt ihm
wohl auch ein Stück Glas vor die Lippen, aber es war kein
Hauch von Atem mehr in ihm. So tat er, was zu tun er mittlerweile
gewohnt ist - er gab ihm die Sterbesakramente. Ihr wollt den
Leichnam sehen?« 
    Athelstan drehte sich
um und sah Cranston an, der aber nur die Achseln zuckte.
    »Ihr glaubt
also, Allingham ist eines natürlichen Todes
gestorben?«
    »Oh,
natürlich! Was denn sonst? Es gibt keine Spur von Gewalt, kein
Anzeichen von Gift«, antwortete Sir Richard. Athelstan
erinnerte sich an das, was Foreman gesagt hatte — daß
die Lady, die bei ihm in der Apotheke gewesen sei, ein Gift gekauft
habe, das geruchlos und nicht nachweisbar war, aber das Herz
stehenbleiben ließ. Er glaubte, daß Sir Richard und
Lady Isabella die Wahrheit sagten, zumindest dem Buchstaben nach;
für sie und vielleicht sogar für einen kundigen Arzt war
Allingham eines natürlichen Todes gestorben. Aber Athelstan
glaubte anderes. Er stimmte Sir John zu: Allingham war ermordet
worden.
    Der junge Schreiber,
Buckingham, der jetzt, da die Beerdigungen vorüber waren,
festlicher gekleidet war, führte sie hinauf in das erste
Stockwerk und dann über eine weitere Stiege zum zweiten Stock
des Hauses. Da mittlere Zimmer in diesem Stockwerk gehörte
Allingham. Die Tür war aus den ledernen Angeln gerissen
worden, und ein Handwerker reparierte sie gerade. Er schob ihnen
die Tür auf, und sie traten
ein.      
    Es war eine kleine,
aber behagliche Kammer, und das Fenster bot einen Blick auf den
Garten. Auf dem Bett, einer kleinen Schlafstatt mit vier Pfosten
und vielen Kissen, lag Allingham und schien zu schlafen. Athelstan
schaute sich im Zimmer um. Ein kurzer, farbiger Wandteppich zeigte
Simeon, wie er das Jesuskind begrüßte. Ein paar
Kästen, ein Tisch, ein hochlehniger Stuhl, etliche Schemel und
ein Schrank, dessen schwere Eichenholztür offenstand, bildeten
die Einrichtung. Athelstan bemerkte den Duft von Kräutern, die
in den Schrank gestreut waren, um die Kleider darin frisch zu
halten.
    Er ging zum Bett,
schaute den Toten an und sprach ein kurzes Gebet. Cranston setzte
sich auf die Bettkante und starrte die Leiche an, als wäre der
Mann lebendig und sollte

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