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Die Galerie der Nachtigallen

Die Galerie der Nachtigallen

Titel: Die Galerie der Nachtigallen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Harding
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eine Erfrischung angeboten
hatte, einen Rotwein in einer der Tavernen an der Cheapside.
Schließlich gab es in diesem Fall noch andere Fäden,
lose Fäden, die es zu verknoten galt. Wer zum Beispiel war die
rothaarige Hure gewesen, die Vechey in den Tod gelockt hatte? Lady
Isabella? Aber viele Huren trugen rote Perücken.
    Als er Philomel in den
Stall gebracht hatte, fielen Athelstan die Verse aus der Heiligen
Schrift ein, und er studierte die große, ledergebundene
Bibel, die er angekettet im einzigen Schrank seines Hauses
verwahrte. Genesis 3, Vers 1: »Die Schlange aber war listiger
als alle Tiere des Feldes, die Gott geschaffen hatte.«
Athelstan übersetzte laut, während er las: »Hat
Gott wirklich gesagt, ihr solltet nichts von diesem Baume hier im
Garten essen?« Und dann die andere Stelle - Apokalypse 6,
Vers 8: »Ich sah«, murmelte Athelstan, »ein
fahles Roß, und der auf ihm saß, des Name ist >der
Tod<, und die Unterwelt ist sein Gefolge ...«
    Was konnte das
bedeuten? Athelstan war sicher, daß in diesen Texten der
Schlüssel zu dem Geheimnis lag.
    Und Sir John?
Athelstan fragte sich, ob er nicht zu ihm reiten und Frieden
schließen sollte. Aber er war müde, hatte genug von
allem, und solche Dinge mußten warten.
    Er ging hinaus,
schloß die Kirche auf und sah nach dem Rechten; dann brachte
er Philomel einen Eimer Wasser und Bonaventura ein Schälchen
Milch, die er an der London Bridge gekauft hatte. Noch immer war er
aufgewühlt. Er ging ins Haus, legte sich auf sein Strohlager
und schaute zu der abblätternden Decke hinauf. Er versuchte,
sich zu beruhigen — zuerst mit einem Psalm: »Exsurge
domine, exsurge et vindica causam meam ... Erhebe dich, o Herr, erhebe dich
und richte meine Sache ...«
    Athelstan ließ
seine Gedanken wandern, zurück zu Cranston und dem
erschrockenen, angstvollen Gesicht der Lady Isabella. Dann
schüttelte er den Kopf, um diese Gedanken zu vertreiben. Wie
es wohl am Abendhimmel aussehen mochte? Und ob der Pater Prior ihm
eine Kopie der Schriften Richards von Wallingford schicken
würde? Richard, ehedem Abt von St. Alban, hatte die
wundersamsten Instrumente zum Messen und Bestimmen der Sterne
erfunden; Athelstan hatte sich mit einem Bruder unterhalten, der
Wallingfords sinnreiche Uhr gesehen hatte, mit Rädern darin,
die wie durch Zauberei eingerichtet waren; eine Uhr, die nicht nur
die Stunden maß, sondern auch Tierkreise und Sternzeichen
anzeigte, die Phasen des Mondes und die Stellung der Sonne, der
Planeten und der Himmel. Athelstan leckte sich die Lippen. Er
hätte ein Vermögen für eine solche Uhr gegeben,
alles, was er besaß, nur um sie ein paar Stunden in den
Händen halten zu dürfen. Vielleicht würde der Pater
Prior ihm helfen? Aber er hatte ihn schon um eine Abschrift des
Kalenders des Karmeliters, Nicholas von Lyn, gebeten.
    Die Kammerdecke
erinnerte ihn an die Kirche; zwar war das Dach jetzt repariert, aber
eigentlich sah sie immer noch kaum besser aus als ein
Schweinestall.
    Er hörte Stimmen
draußen, stand auf, spähte aus dem Fenster und
stöhnte leise auf. Natürlich, er hatte es vergessen - das
Treffen mit seinen Pfarrkindern! Sie wollten sich in der Kirche
versammeln und über den Prunkwagen für das
Fronleichnamsfest sprechen.
    Athelstans Vorahnungen
zu dieser Versammlung erwiesen sich als richtig. Das Treffen war
kein fröhliches. Zuvorderst unter seinen Gemeindekindern
saßen Watkin, der Müllsammler, und sein Weib, eine Frau
mit der Gestalt eines Rammbocks, hartgesichtig und mit eisengrauem
Haar, das ihr bis auf die Schultern hing. Cecily, die Hure, machte
unaufhörlich spitze Bemerkungen und deutete an, daß sie
mehr über Watkin wisse als seine eigene Frau. Ranulf, der
Rattenfänger, und Simon, der Dachdecker, sowie eine Schar
anderer drängten ins Kirchenschiff und setzten sich einander
gegenüber auf die beiden einzigen Bänke der Kirche,
während Athelstan zwischen ihnen auf dem Altarstuhl Platz
nahm.
    Sticheleien
beeinträchtigten das Zusammentreffen. Nichts wurde
geklärt, und Athelstan hatte das Gefühl, er hätte
entschiedener auftreten müssen. Als die Versammlung beendet
war, schauten ihn alle seine Pfarrkinder vorwurfsvoll an. Er
entschuldigte sich, sagte, er sei müde, und versprach, sie
würden wieder Zusammenkommen, und dann würde man
gewiß eine Entscheidung fällen. Murmelnd und murrend
trotteten sie hinaus - alle bis auf Benedicta. Sie blieb am Ende
der Bank sitzen, den Mantel um sich gewickelt. Athelstan
schloß die Tür

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