Die Galerie der Nachtigallen
offen;
ihr Körper, schmutzigweiß wie der Bauch eines
gestrandeten Fisches, war von Striemen und Blutergüssen
übersät. Die Leiche war gleich nach der Frühmesse
von Gemeindemitgliedern gebracht worden. Athelstan hatte von einer
alten Dame, die in einem der Häuser hinter der Kirche wohnte,
ein Gewand geborgt und Megs Leichnam so würdig bekleidet wie
möglich. Der Gemeindekonstabler, ein kummervolles
Männchen, hatte ihm berichtet, daß Meg ermordet worden
sei.
»Das tragische
Ende«, klagte er, »eines traurigen Lebens!«
Athelstan hatte ihn ausgefragt: Anscheinend hatte irgendein
Schurke, hitzig in der Wallung der eigenen Säfte, Megs
Körper gekauft und sich seiner bedient, ehe er ihr ein Messer
zwischen die Rippen stieß. Kurz nach dem Morgengrauen war
ihre Leiche, kalt und steif, in einem Gestrüpp gefunden
worden, das von Ratten wimmelte. Niemand würde Anspruch auf
die Tote erheben, und Athelstan wußte, daß die
Gemeindewache sie verscharren würde wie den halbverwesten
Kadaver eines Hundes. Aber die Frühmesse war gut besucht
gewesen, und die Mitglieder der Gemeinde hatten anders entschieden.
Tab, der Kesselflicker, der zur Beichte gekommen war, hatte sich
angeboten, aus dünnen Brettern eine Art Sarg zu zimmern. Er
hatte ihn draußen auf der Kirchentreppe zusammengesetzt und
vor dem Lettner auf Böcke gestellt. Athelstan segnete Meg ein,
besprengte den offenen Sarg mit Weihwasser und betete, der gute
Christus möge ihrer armen Seele gnädig sein. Mit Tabs
Hilfe nagelte er den Deckel zu, sprach die Totengebete und schrieb
ihren Namen unter den der anderen Verstorbenen der Gemeinde, derer
in der wöchentlichen Requiemsmesse gedacht wurde.
Danach gab Athelstan
Tab und seinen beiden Lehrlingen ein paar Pennies, damit sie den
Sarg zur Kirche hinaus und auf den alten Friedhof trugen. Athelstan
folgte ihnen und sang Verse aus den Psalmen. Megs Sarg wurde in ein
flaches Grab im trockenen, harten Boden hinabgesenkt. Athelstan
nahm sich vor, hier ein Kreuz aufzustellen und so bald wie
möglich eine Messe für ihre Seele und die des armen Hob
zu lesen. Von Gewissensbissen geplagt, ging er zur Kirche
zurück. Er hatte seine Zeit damit vergeudet, die Sterne
anzustarren, während Menschen wie Meg aus Four Lanes eines
schrecklichen Todes starben und hernach in obskure Gräber
gelegt wurden. Athelstan empfand Zorn; er kniete vor der Statue der
Jungfrau nieder und betete für Meg und den üblen
Halunken, der ihre arme Seele ohne Beichte in die Finsternis
geschickt hatte. Dann stand er auf und wollte gerade in sein Haus
gehen und sich den Schmutz von Megs Grab von den Händen
waschen, als Cranston die Tür aufstieß, als kündete
er das jüngste Gericht, und hereinstolziert kam.
»Mord,
Athelstan!« dröhnte er. »Verdammter Mord!
Übler Totschlag!«
Athelstan wußte,
daß Cranston ihn gern erschreckte und großes
Vergnügen an dramatischen Auftritten und Abgängen hatte,
und er wußte nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Cranston
blieb stehen, die Beine gespreizt, die Hände in die
Hüften gestemmt. Der Bruder setzte sich auf die Altarstufen
und schaute in das runde, muntere Gesicht. »Wovon redet Ihr,
Sir John?« fragte er unwirsch.
Der grinsende
Koloß stand da und schwieg. »Die Springalls!«
schrie er schließlich. »Es ist schon wieder was
passiert. Diesmal wurde der arme Allingham tot in seiner Kammer
gefunden, ohne die Spur einer Wunde an seinem Körper.
Oberrichter Fortescue ist wild wie eine Katze. Übrigens, wo
steckt deine eigentlich?«
»Bonaventura ist
wahrscheinlich verschwunden, als sie Euch kommen hörte«,
brummte Athelstan. »Aber warum? Was ist mit dem Oberrichter?
Was hat er mit Bonaventura zu tun?« »Fortescue springt
herum wie eine Katze auf heißen Steinen und verlangt,
daß etwas geschieht, aber er weiß auch nicht besser als
ich, was geschehen soll. Jedenfalls müssen wir los, Athelstan.
Zurück zum Hause Springall.«
»Sir John, ich
habe hier zu tun. Zwei Todesfälle, zwei
Beerdigungen.«
Der Coroner kam auf
ihn zu, und ein boshaftes Grinsen lag auf dem Satyrgesicht.
»Aber, aber, Athelstan. Das weißt du doch
besser.«
Natürlich
wußte der Bruder es besser. Er wußte, daß er
keine Wahl hatte, und murrend packte er seine Satteltaschen,
zäumte Philomel auf und ging zu Cranston, der vor der Kirche
auf seinem Pferd hockte. Athelstan hinterließ ein paar
Anweisungen bei Tab, dem Kesselflicker, der jetzt in der
nächsten Schänke saß und vertrank, was er bei
Megs Beerdigung
verdient
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