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Die Galerie der Nachtigallen

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Titel: Die Galerie der Nachtigallen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Harding
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in ein freundliches Gespräch gezogen
werden.
    Athelstan wußte,
daß Cranston all seinem Gepluster und Suff zum Trotz durchaus
in der Lage war, den Toten aufmerksam und scharfsichtig zu
untersuchen. Er machte sich ebenfalls an die Arbeit. Die Haut des
toten Kaufmannes ähnelte den kalten Schuppen eines Fisches.
Der Rigor mortis hatte eingesetzt, aber noch nicht
vollständig. Athelstan drückte den Mund auf und roch
daran. Der Geruch war leicht würzig, aber nicht
ungewöhnlich; weder Haut noch Fingernägel oder Gesicht
waren verfärbt. Er betrachtete die Finger, aber auch hier war
nichts zu bemerken außer einem leichten Chrisamduft an den
Händen, die der Priester gesalbt hatte. Athelstan kam sich ein
wenig albern vor, wie er hier mit Sir John auf dem Bett saß
und Buckingham und Sir Richard auf sie herabschauten. Hinter ihnen
stand Lady Isabella auf Zehenspitzen und
spähte über deren Schultern, als verfolgte sie ein
Maskenspiel oder einen Mummenschanz. Dann ertönten hinter ihr
die dumpfen, schlurfenden Schritte des Pater Crispin, der nun auch
heraufkam. »Sagt mir«, bat Athelstan, »wer hat
den Toten gefunden?«
    »Ich«,
antwortete Sir Richard. »Wir waren alle früh
aufgestanden. Pater Crispin ritt mit einem der Pferde, einem
jungen, durch Aldgate hinaus, um es auf den Feldern ein wenig
galoppieren zu lassen. Als er zurückkehrte, stellte er das
Pferd in den Stall und kam, um mit uns zu frühstücken. Da
bemerkten wir, daß Allingham, obgleich im allgemeinen ein
Frühaufsteher, noch nicht heruntergekommen war. Wir sandten
einen Diener hinauf. Er versuchte, Stephen zu wecken, doch es
gelang ihm nicht, und er kam wieder herunter. Pater Crispin hatte
leider gerade einen Weinbecher umgestoßen und tupfte das
Malheur mit einem Mundtuch auf. Als der Diener mich bat, ging ich
hinauf; Pater Crispin, Master Buckingham und Lady Isabella folgten
mir. Allingham war nicht zu wecken, und so schickten wir nach den
Arbeitern im Hof. Sie kamen mit einem Balken und drückten die
Tür ein.«
    Athelstan ging zur
Tür und betrachtete sie eingehend. Riegel und Schloß
waren heillos zerstört, als der behelfsmäßige
Rammbock zu Werke gegangen war.
    »Stephen
Allingham lag in seinem Bett, wie Ihr ihn jetzt seht«, fuhr
Sir Richard fort. »Pater Crispin untersuchte ihn und stellte
kein Lebenszeichen mehr fest.«
    »Was geschah
weiter?«
    »Nichts. Wir
legten den Toten nur zurecht; er lag hingestreckt halb im Bett,
halb auf dem Boden.«
    »Nichts
Verdächtiges?«
    »Nein.«
    »Doch,
eines.« Pater Crispin meldete sich zu Wort, ohne sich um Sir
Richards warnenden Blick zu kümmern. »Ich konnte nicht
begreifen, warum Allingham, wenn er einen Anfall hatte, nicht
versuchte, den Schlüssel umzudrehen, die Tür zu
öffnen und um Hilfe zu rufen, und ich dachte mir, vielleicht
hat das Schloß geklemmt.« Er zuckte die Achseln.
»Ich ging also zurück und sah nach. Der Türgriff
saß fest. Ich versuchte, ihn freizubekommen, und benutzte das
Mundtuch, das ich gedankenlos aus der Halle mit heraufgebracht
hatte, um ihn besser packen zu können. Aber es half nichts -
vielleicht wegen der Art und Weise, wie die Tür aufgebrochen
worden war. Das Schloß selbst schien in Ordnung, war
allerdings durch das gewaltsame Eindringen aufgebogen. Der
Schlüssel lag auf dem Fußboden.«
    »Und wie hat
Master Allingham sich in den letzten Tagen
benommen?«
    »Mißgelaunt«,
antwortete Sir Richard. »Er sonderte sich ab. Einmal
hörte meine Mutter, Lady Ermengilde, wie er etwas vor sich hin
murmelte, dieselbe Zahl, die auch Vechey erwähnt hatte -
einunddreißig. Und etwas über
Schuhmacher.«
    »Ja, das
stimmt«, sagte Lady Isabella. »Bei Tisch starrte er nur
finster auf seinen Teller und sagte kein Wort. Er müsse besser
darauf achten, was er esse und trinke, sagte er einmal. Er
verbrachte viel Zeit unten im Hof bei den Tischlern und Malern, die
den Prunkwagen für die Krönungsprozession bauen.
Stundenlang redete er mit ihnen, besonders mit dem Tischlermeister,
Andrew Bulkeley.«
    »Was gab es denn
da so Wichtiges?« fragte Cranston.
    Lady Isabella hob die
schönen Schultern, eine Bewegung, die sogar Athelstan den Atem
stocken ließ.
    »Ich weiß
es nicht«, murmelte sie. »Er ging hinunter und
betrachtete den Fries, den Bulkeley schnitzte - der den Wagen
krönen und später in der Hauskapelle auf der anderen
Seite des Hauses hängen soll. Vielleicht solltet Ihr einmal
mit ihm sprechen?«
    Cranston sah zu
Athelstan hinüber und nickte. »Ach, und noch

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